Ein Vampir fuer alle Sinne
Schnelligkeit verzichten musste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es kostete sie allerdings Mühe, da sie so schnell wie möglich bei Livy sein wollte. Sie wusste nicht, wodurch das Kind aufgewacht war, aber es litt mit Sicherheit wieder unter den unerträglichen Kopfschmerzen.
Erst als ein Arm neben ihr auftauchte, um ihr die Tür aufzuhalten, wurde ihr bewusst, dass Paul ebenfalls losgelaufen war.
»Danke«, murmelte sie und betrat das Cottage. Kaum war sie außer Sichtweite der Gäste, stürmte sie mit der Schnelligkeit einer Unsterblichen durch das Haus.
Livy lag neben dem Bett auf dem Boden und schluchzte herzerweichend. Boomer stand neben ihr und leckte ihr übers Gesicht, zwischendurch winselte er beunruhigt. Jeanne Louise tauchte in ihre Gedanken ein, kaum dass sie das Zimmer betreten hatte, doch da waren keine Kopfschmerzen.
»Herzchen, was ist denn los?«, fragte sie und bückte sich, um das Mädchen aufzuheben.
»Ich bin aus dem Bett gefallen«, jammerte Livy und klammerte sich an Jeanne Louises Hals fest, als würde ihr Leben davon abhängen.
»Ach, du armer Knuffel«, sagte Jeanne Louise leise und wiegte das Kind zärtlich hin und her. »Hast du dir wehgetan?«
»Ja, an meinem Ellbogen«, antwortete Livy unter Tränen und hielt den Arm so hoch, dass die Stelle zu sehen war, an der sie sich ein wenig die Haut aufgescheuert hatte. Entweder war das am Nachttisch oder auf dem Fußboden passiert, vermutete Jeanne Louise, die vor Erleichterung fast in Tränen ausgebrochen wäre. Keine Kopfschmerzen, sondern nur ein Unfall, wie es sie immer wieder mal gab.
»Ich habe nicht daran gedacht, einen Verbandskasten zu kaufen«, sagte Paul, der sich zu ihnen ans Bett stellte.
Jeanne Louise drehte sich zu ihm um und stellte fest, dass auch er erleichtert war, dass nichts wirklich Dramatisches vorgefallen war.
»Ich frage mal nach, ob die Jacksons oder die Corbys etwas Salbe und eine Mullbinde haben«, fügte er an und verließ das Zimmer.
»Okay«, entgegnete sie und schaukelte Livy auf ihrem Arm weiter leicht hin und her, bis die Tränen nachließen. Dann setzte sie sich mit ihr aufs Bett, um auf Paul zu warten.
»Hallo?«
Jeanne Louise sah zur Tür, als sie aus dem Flur die Stimme von Sharon Corby hörte. »Hier hinten«, rief sie zurück.
»Paul sagt, Sie brauchen einen Verband und antiseptische Salbe«, redete Sharon weiter, die im nächsten Moment in der Tür auftauchte und zu ihr kam. »Er wollte Ihnen das bringen, aber ich habe ihm gesagt, dass wir Frauen das auch allein geregelt bekommen.« Sie sah Livy an und fragte mitfühlend: »Was denn? Ist da jemand aus dem Bett gefallen?«
Livy nickte schniefend und hielt ihren Ellbogen so, dass Sharon die Stelle sehen konnte. Sie näherte sich dem Bett und begann von einer ganzen Reihe von mitfühlenden Lauten begleitet Salbe aufzutragen und dann die Mullbinde um den Arm zu wickeln.
»Schon besser?«, fragte Jeanne Louise, als Sharon fertig war. Als Livy bestätigend nickte, lächelte sie sie an, küsste sie auf die Wange und stand mit ihr auf. Sie drehte sich um, legte das Mädchen ins Bett und deckte es zu. »Du schläfst jetzt weiter, Süße, okay. Morgen kannst du ganz viel mit anderen Kindern spielen.«
»Ja, Mommy«, antwortete Livy schläfrig, und dann fielen ihr auch schon die Augen zu. Jeanne Louise stand wie erstarrt da und hatte das Gefühl, dass ihr Herz vor Überraschung aufgehört hatte zu schlagen.
»Wow, die arme Kleine ist ja sofort wieder eingeschlafen«, flüsterte Sharon amüsiert.
Jeanne Louise richtete sich auf und sagte sich, dass Livy übermüdet und deshalb ein bisschen durcheinander war. Dass sie Mommy zu ihr gesagt hatte, bedeutete überhaupt nichts. Es gab also keinen Grund dafür, dass sie den Wunsch verspürte, das Mädchen aus dem Bett zu heben und ganz fest an sich zu drücken.
»Die Aufregung gerade eben muss genug gewesen sein, um sie gleich wieder einschlafen zu lassen.« Mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen drehte sie sich zu der Frau um. Noch ein Snack, bevor Paul sie später von sich trinken ließ, war ganz sicher nicht verkehrt. Sie betrachtete die Kurzhaarfrisur der Frau und schürzte die Lippen. Die Bisswunden würden bei ihr sofort auffallen. Ihr Blick wanderte zum Handgelenk, an dem die Frau eine klobige Uhr trug. Das Uhrarmband war breit genug, entschied sie.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte Jeanne Louise leise und drang in den Geist der Frau ein, während sie einen Schritt auf sie zu machte.
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