Ein Vampir für jede Jahreszeit
Badewanne an. Vielleicht würde sie sich nach einem Vollbad ja sauberer fühlen und sich soweit entspannen können, dass ihr etwas für Stephanie einfiel. Sie entdeckte ein Fläschchen Badezusatz, kippte den gesamten Inhalt in die Wanne und drehte das Wasser auf. Oh ja, sie würde sich ein bisschen einweichen und dabei gründlich nachdenken.
6
Von der Jagd nach Essen kehrte Tiny mit mehreren Tüten zurück. Er hatte Sandwiches, Kartoffelchips und Softdrinks mitgebracht sowie eine ganze Menge Kleidung, die normalerweise für Touristen gedacht war: T-Shirts, Trägerhemden, Jogginghosen und Jacken in verschiedenen Größen, die alle mit dem Schriftzug I ♥ New York oder ähnlichen Aussagen über die Stadt verziert waren. Diese Auswahl war zwar nicht ganz optimal, aber immer noch besser als die Kleidung, die sie momentan trugen. Er hoffte, dass die Frauen es genauso sehen würden.
In einer der Tüten steckten außerdem Klebetattoos, die für Stephanie gedacht waren. Auf dem Weg durch die Kanäle hatte sie geklagt, wie viele Dinge sie nun, da sie gewandelt worden war, nicht mehr tun könnte – und Tattoos standen ganz oben auf ihrer Liste. Offenbar hatte sie vorgehabt, sich tätowieren zu lassen, sobald sie volljährig wurde, denn vorher hätten ihre Eltern es ihr nie im Leben gestattet. Er hoffte, dass die Klebebilder sie ein wenig aufmuntern konnten.
»Oh, rieche ich da Essen?«
Tiny stand noch an der Tür, als Stephanie bereits zu ihm sprang. Überrascht stellte er fest, dass sie einen Bademantel trug. Es gab kaum noch Hotels, die Bademäntel zur Verfügung stellten.
»Den Bademantel habe ich von der Rezeption angefordert. Die meisten Hotels bieten sie zum Kauf an. Sie setzen ihn uns auf die Rechnung«, erklärte Stephanie Tiny gedankenverloren und zupfte dabei an den Plastiktüten in seinen Händen. »Was ist denn das? Du hast sogar Klamotten besorgt?«
»Ich habe einen Supermarkt gefunden, der vierundzwanzig Stunden geöffnet hat. Unglaublich, was man in solchen Läden alles kaufen kann«, murmelte er. Stephanie schob ihn bereits vor sich her zum Tisch, und sobald er die Tragetaschen dort abgestellt hatte, machte sie sich über sie her, wobei sie die Tüte mit dem Essen ignorierte. Ihr anfängliches Interesse dafür war schon wieder verpufft. Stattdessen kippte sie die Kleider aus und sortierte sie.
»Hübsch«, meinte sie und hielt ein schwarzes Trägerhemd hoch, auf das NYC quer über die Brust gedruckt war. Tiny hatte es eigentlich für Mirabeau ausgesucht, denn er fand, dass es zu ihrem Stil passte. Hoffentlich hatte es auch die richtige Größe. Er konnte sie sich jedenfalls sehr gut darin vorstellen. Stephanie hatte diesen Gedankengang offenbar mitbekommen und ließ das Oberteil wieder auf den Tisch fallen. »Ihr wird es sowieso besser stehen. Ich hab’ nicht die richtigen Möpse dafür.«
Tiny seufzte still und dachte, wie schön es wäre, seine Gedanken wie die Unsterblichen vor Außenstehenden abschirmen zu können. Es war schon schlimm genug, dass sich alle erwachsenen Unsterblichen in seinem Kopf herumtrieben. Stephanie musste nicht auch noch in seinen manchmal nicht gerade jugendfreien Gedanken herumspionieren.
»Hey, was ist das denn?«
Stephanie hatte die Tattoos entdeckt. Tiny räusperte sich und erklärte: »Ich dachte, die könnten dir vielleicht gefallen. Ich weiß zwar, dass sie nicht mit einer echten Tätowierung mithalten können, aber dafür kannst du sie immer wieder auswechseln, wenn dir ein Motiv mal langweilig werden sollte.«
»Da hast du wohl recht«, murmelte sie und blätterte die Bögen mit den Bildern durch. »Warum sind das denn alles nur Herzen und so romantisches Zeug?«
»Heute ist Valentinstag, Kleines«, erläuterte er. Doch halt, das stimmte ja gar nicht. Die Hochzeit hatte am Valentinstag stattgefunden – wahrscheinlich, damit die frischgebackenen Ehemänner in Zukunft niemals ihren Hochzeitstag vergaßen – doch inzwischen war es bereits nach Mitternacht. Heute war der 15. Februar. »Sonst hatten sie nur I ♥ New-York -Tattoos, und ich dachte mir, dass du die nicht mögen würdest«, fügte er schulterzuckend hinzu.
»Nein«, pflichtete sie ihm bei und verzog angewidert das Gesicht. Dann hellte sich ihre Miene auf. »Ich muss sie Mirabeau zeigen. Wo ist sie?«
»In meinem Badezimmer«, mutmaßte Tiny. Stephanie sprang sofort auf, und Tiny rief ihr warnend hinterher: »Wahrscheinlich nimmt sie ein Bad.« Doch es war bereits zu spät. Wie alle Unsterblichen
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