Ein Vampir in schlechter Gesellschaft - MacAlister, K: Vampir in schlechter Gesellschaft
Augen. »Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er mich ohne ein Wort verlassen hat.«
In meinem Hinterkopf begann es zu rumoren. Ich blieb einen Moment ganz still sitzen und bemühte mich, an nichts Konkretes zu denken, wie man es laut meiner Mutter tun musste, um einen vagen Gedanken an die Oberfläche zu befördern. Ausnahmsweise funktionierte es auch, und als aus dem Rumoren eine konkrete Idee geworden war, starrte ich Imogen entsetzt an.
»Was ist?«, fragte sie und tupfte sich die Nase mit einem Taschentuch. »Warum siehst du mich so an?«
»Vielleicht hat er dich gar nicht verlassen, wie du glaubst. Vielleicht ist er verschwunden.«
Sie zog ihre honigblonden Brauen zusammen. »Wo ist denn da der Unterschied?«
»In letzter Zeit ist einiges verschwunden«, sagte ich, und mir lief es eiskalt über den Rücken. Ich zählte die einzelnen Punkte an meinen Fingern ab. »Zuerst ist mir mein Rucksack samt Schlüsseln und Handy abhandengekommen. Vielleicht hat ihn ein Passant gestohlen, der zufällig am Haus vorbeikam, aber es könnte auch jemand anders gewesen sein.«
»Wer denn?«
»Dann ist meine Mutter verschwunden«, fuhr ich fort. »Dann das Vikingahärta und jetzt auch noch Günter.«
»Das scheint mir purer Zufall zu sein«, sagte Imogen skeptisch.
»Ja, so scheint es, aber es kann doch sein, dass wir genau das glauben sollen. Denk an Lokis Racheschwur, Imogen!«
Sie schürzte die Lippen. »Er hat gesagt, er wird dir das nehmen, was dir am meisten bedeutet.«
»Und ich dachte zuerst, damit wäre meine Mutter gemeint, aber … « Ich hielt inne, weil ich nicht aussprechen wollte, was ich dachte.
»Aber sie ist nicht diejenige, die du am meisten liebst«, sagte Imogen leise.
»Ich weiß nicht, ich liebe meine Mutter natürlich. Aber … «
»Aber da ist auch noch Ben, und deine Gefühle für ihn sind sicherlich stärker als alle anderen.« Sie tätschelte meine Hand. »Das verstehe ich. Aber glaubst du wirklich, dass Loki hinter alldem steckt? Und wenn ja, warum hat er sich deine Mutter geholt, wo Benedikt doch dein Ein und Alles ist?«
»Ich weiß es nicht.« Ich rollte mich deprimiert auf dem Bett zusammen. »Und ohne das Vikingahärta werde ich es wohl nie herausfinden. Oh, Göttin der endlosen Nacht! Imogen, was mache ich denn jetzt?«
Sie tippte sich ein paar Sekunden mit ihrem langen Zeigefinger ans Kinn. »Du wirst das Vikingahärta finden.«
»Aber wie? Wir wissen ja nicht mal, ob es gestohlen wurde oder ob Loki es wieder an sich gerufen hat oder so.«
»Ich frage mich … «
Ich richtete mich auf und sah sie an. »Was?«
»Der Lich, der gestern hier gesehen wurde. Ich frage mich, ob er geschickt wurde, um es zu holen.«
»Geschickt? Sind Liche so was wie Laufburschen?«
»Eigentlich nicht.« Sie lächelte und setzte sich neben mich. »Entschuldige, Fran. Ich vergesse immer, dass du dich mit dem Jenseits nicht so gut auskennst. Ein Lich ist ein Wesen, das mal tot war, aber wieder zum Leben erweckt wurde.«
»Ein Zombie? Ein Zombie hat mein Vikingahärta geraubt?«
»Nein, kein Wiedergänger. Liche werden von Nekromanten beschworen, verstehst du? Das sind mächtige Magier, die geheimnisvolle dunkle Machtquellen nutzen, und wenn sie einen Lich beschwören, verleihen sie ihm manchmal auch magische Kräfte.«
»Ist ja reizend! Zombies mit magischen Kräften haben meinen Valknut gestohlen!« Ich wollte wieder lachen, befürchtete aber, dass es etwas hysterisch klingen könnte, und verkniff es mir.
»Es wird nicht so leicht sein, den Lich zu finden«, überlegte Imogen laut. »Liche, die von einem Meisternekromanten beschworen wurden, sind von Sterblichen kaum zu unterscheiden. Man kann sie nur an ihren Augen erkennen.«
»Was ist mit ihren Augen?« Ich sah Bilder von leeren, blutigen Augenhöhlen vor mir.
»Sie sind schwarz.«
»Große schwarze Löcher, meinst du?«
»Nein, ihre Iris ist genauso schwarz wie die Pupillen. Alle Liche haben schwarze Augen. Na ja, die meisten jedenfalls. Ich habe von einer Ausnahme gehört, aber die ist für uns nicht von Belang.«
»Ach? Was ist denn die Ausnahme?«
»Drachen.«
Ich starrte sie eine Weile verblüfft an, dann sagte ich: »Okay, weiter im Text!«
»Ja, wir sind vom Thema abgekommen. Also, wir sollten als Erstes den Lich suchen, denke ich. Er wird uns sagen, wer ihn geschickt hat, um das Vikingahärta zu stehlen.« Imogen stand auf, nahm einen hautengen Ledereinteiler aus dem Schrank und begann sich umzuziehen.
»Das können
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