Ein Vampir zum Valentinstag (German Edition)
brummte Tiny.
Seufzend entgegnete Mirabeau: »Schon, aber ich glaube, genau das hat meinen Onkel wahnsinnig gemacht. Denn hätte sie ihn erwählt, dann hätte er all das gehabt, was mein Vater besaß.«
»Verstehe.« Tiny nickte bedächtig. »Es muss schwer für ihn gewesen sein, das zu ertragen. Tut mir leid. Erzähl weiter.«
Mirabeau holte tief Luft und schluckte den Schmerz hinunter, der sie immer wieder überkam, wenn sie an diese Geschehnisse zurückdachte. Seit der Nacht, in der Lucian zu ihr gekommen war und sie ihm unter Tränen diese Geschichte erzählt hatte, hatte sie sie mit niemandem mehr geteilt. Verwundert stellte sie fest, dass es diesmal nicht mehr so schlimm war. Sie fragte sich, ob das wohl an der Zeitspanne lag, die seither vergangen war, oder daran, dass sie sie diesmal Tiny erzählte. Zwar taten die Erinnerungen nach wie vor weh und trieben ihr die Tränen in die Augen, doch sie quälten sie bei Weitem nicht mehr so wie früher.
Mirabeau senkte den Blick und bemerkte, dass seine große Hand auf ihrem Bein lag. Wann hatte er sie dort hingelegt?
Sie räusperte sich und setzte den Bericht fort. »Mein Onkel verlangte von meiner Mutter als Gegenleistung für mein Leben, dass sie zu seiner Gefährtin würde und seine Lügengeschichte bestätigte, derzufolge eine Gruppe marodierender Katholiken meinen Vater und meine Brüder ermordet hätte.«
»Scheißkerl«, knurrte Tiny wieder.
Erstaunt stellte Mirabeau fest, dass seine Wut und Unterstützung sie beinahe zum Lächeln brachten. Doch dies verging schnell wieder, als sie die Geschichte fortsetzte. »Ich dachte zuerst, meine Mutter ließe sich darauf ein. Ich betete im Stillen darum, weil ich glaubte, dass wir hinterher sicher eine Möglichkeit zur Flucht finden würden und die Wahrheit ans Licht bringen könnten. Ich glaube, sie hätte es auch getan, wenn sie nicht bemerkt hätte, wie ich aus meinem Versteck auf dem Heuboden auf sie hinabspähte. Sie richtete sich auf und sagte entschlossen ›Nein‹.
Mein Onkel geriet außer sich vor Wut. ›Nicht einmal, um deine Tochter zu retten?‹, fragte er erzürnt und fassungslos. Meine Mutter aber wurde ganz ruhig, sah mich direkt an und erklärte: ›Meine Tochter kann sich selbst retten. Du kannst Mirabeau nicht töten. Sie ist stark und mutig. Sie wird entkommen und den Menschen berichten, was du getan hast. Dafür werden sie dich zur Rechenschaft ziehen‹.«
»So hat sie dir mitgeteilt, was du tun solltest«, murmelte Tiny leise.
»Ja.«
»Wie hat dein Onkel reagiert?«, fragte er, als sie schwieg.
»Er brüllte ›Ich werde sie in dem Bett, in dem sie jetzt gerade schläft, abschlachten‹ und drückte meiner Mutter sein Schwert an die Kehle. Doch die lächelte mich nur aufmunternd über seine Schulter hinweg an und sagte ›Versuch es nur! Aber ich schwöre dir, dass du scheitern wirst. So sehr ich meine Tochter auch liebe, ich werde keine Sekunde lang auch nur so tun, als wäre ich deine Lebensgefährtin. Niemals wirst du so von mir denken oder mich auf diese Art berühren dürfen‹.«
Mirabeau verfiel in Schweigen und hing der Erinnerung an diesen Augenblick nach. Tiny drückte ihre Hand und fragte flüsternd: »Hat er sie umgebracht?«
Mirabeau schüttelte den Kopf und wischte mit der freien Hand eine Träne weg, die sich aus ihrem Augenwinkel gestohlen hatte. »Nein. Sie hat es selbst getan.«
»Was?«, fragte er verblüfft. »Aber wie? Warum?«
Resigniert hob Mirabeau die Schultern. »Das warum erklärt sich dadurch, dass sie zwar beide Unsterbliche waren, mein Onkel aber, obwohl er meine Mutter nicht mental kontrollieren konnte, trotzdem der Stärkere von ihnen beiden war. Meine Mutter wusste, dass er sie vergewaltigen und quälen würde und ich dann sicher versuchen würde, ihr zu helfen und mich so in Gefahr brächte. Darum … « Mirabeau atmete tief ein. »Sobald sie das letzte Wort ausgesprochen hatte, packte sie seine Hand mit dem Schwert, riss es an ihren Hals und warf sich der Klinge entgegen. Sie hat sich selbst mit dem Schwert geköpft.«
»Oh, mein Gott«, hauchte Tiny und schüttelte dann matt den Kopf. »Ich hätte nicht geglaubt, dass so etwas möglich ist. Allein wegen der Kraft, die man dafür braucht, sowohl körperlich als auch seelisch.«
»Wir sind stark«, erklärte Mirabeau schlichtweg, obwohl sie das Erlebnis damals selbst schockierend gefunden hatte. Sie hatte sich auch nicht vorstellen können, dass jemand dazu fähig sein könnte. Aber ihre Mutter
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