Ein verboterner Kuss
schlagfertigen Jungen, der bereit war, hart zu arbeiten, taten sich dort viele Möglichkeiten auf.“
Sie drückte ihn kurz an sich und musste an den Jungen denken, der nach Münzen getaucht war.
„Eines Tages wurde ein Junge - keiner von uns, der Sohn eines reichen Mannes - unabsichtlich von Männern ins Wasser gestoßen, die gerade Fracht verluden. Niemand sonst sah ihn ins Wasser fallen, nur ich. Er tauchte nicht wieder auf, wahrscheinlich hatte er sich den Kopf gestoßen. Also sprang ich ins Wasser und holte ihn heraus.“
„Du hast sein Leben gerettet.“
Er nickte. „Das war Tariq. Seinem Vater gehörte das Schiff, das beladen wurde. Er holte mich an Bord und gab mir etwas zu essen. Aus irgendeinem Grund beschloss er, sich bei meiner Mutter persönlich zu bedanken.“ Er verzog das Gesicht. „Ich habe alles versucht, ihm das auszureden, denn meine Mutter schämte sich für unsere ärmlichen Verhältnisse - aber er beharrte darauf.“
Eine Weile schwieg er, tief in Erinnerungen versunken. „Es war Liebe auf den ersten Blick zwischen meiner Mutter und Tariqs Vater.“ Er zog sie fester an sich. „Als das Schiff nach Ägypten in See stach, waren meine Mutter und ich an Bord. Er kaufte ihr ein wunderschönes Haus in Alexandria, und von da an fehlte es uns nie mehr an Geld.“
„Aber war er denn nicht verheiratet? Ich meine, er hatte schließlich einen Sohn.“
„O ja, Faisal war verheiratet, mit mehreren Frauen sogar. Meine Mutter wurde seine Geliebte, und er behandelte sie besser als mein Vater je seine Frau behandelt hatte. Das Haus, in dem sie wohnte, war ihr Eigentum - er hatte es ihr überschrieben. Er gab ihr eine große Summe Geld und bezahlte alle Haushaltsausgaben. Eine Absicherung für das ganze Leben.“
Faisal. „Der Gedichtband?“
Er nickte.
Seine Mutter war also „meine Taube, mein Herz, meine Geliebte“ gewesen.
„Es ging jedoch nicht um Geld - Faisal vergötterte Mama und behandelte sie wie eine Prinzessin. Und sie liebte ihn. Ich habe sie nie glücklicher gesehen als damals. Er war ein guter Mann. Er sorgte sogar dafür, dass ich zusammen mit Tariq unterrichtet wurde.“ Seine Stimme wurde kälter. „Bis mein Vater mich in seine Klauen bekam und mich nach England brachte, damit ich dort zur Schule gehen sollte. Ich hätte das nie akzeptiert, wenn Mama nicht in Sicherheit und so glücklich gewesen wäre.“ Lange Zeit schwieg er. „Es brach ihr das Herz, als Faisal starb.“
Die Pferdehufe klapperten auf der Straße. Auf einem nahe gelegenen Bauernhof bellte ein Hund. Grace dachte an das, was Frey ihr erzählt hatte, wie Dominics Mutter in seinen Armen gestorben war. Sie hielt ihn ganz fest.
Der Regen strömte.
20. Kapitel
Dich zu entdecken, nenn ich glücklich sein!
In dein Verlies mich senken, macht mich frei.
John Donne
Das ist ja alles schön und gut, liebe Grace“, meinte Sir Oswald verstimmt. „Aber warum, zum Teufel, reist du den ganzen Weg nach London - über Nacht! allein und ohne Anstandsdame - und nein, der verdammte Hund zählt nicht! -, zusammen mit einem Fremden, den ich noch nie gesehen habe, während du eigentlich mit Sir John und Melly Pettifer irgendwo auf dem Land sein solltest?“
Grace schluckte. Sie hatte ihre kleine Ansprache in der Kutsche sorgfältig ausgearbeitet, und da hatte sie sich in ihrem Kopf eigentlich ganz gut angehört. Nur Großonkel Oswald hatte sie nicht akzeptiert. Ganz und gar nicht.
Schlimmer noch, Prudence und ihr Mann Gideon waren nicht die einzigen Familienmitglieder, die sich zu Besuch bei Großonkel Oswald und Tante Gussie eingefunden hatten. Alle ihre Schwestern und deren Ehemänner waren ebenfalls da. Keiner von ihnen wirkte allzu beeindruckt von dem, was Grace zu erzählen hatte.
Außer Tante Gussie, die Dominic mit offensichtlicher, um nicht zu sagen peinlicher Bewunderung betrachtete.
Dominic hingegen wirkte kein bisschen verlegen. Auch schienen ihn Großonkel Oswalds Fragen nicht im Geringsten in Bedrängnis zu bringen, genauso wenig wie die drohenden Blicke von Grace’ vier riesigen, zornigen und muskulös aussehenden Schwägern. Grace sah zu Edward hinüber und korrigierte sich - drei riesige, zornige und muskulös aussehende Schwäger und ein mittelgroßer, verstimmter Duke, ihr Schwager Edward eben.
Dominic machte sich offenbar so wenig aus Großonkel Oswalds Tiraden, dass er ständig zwischen Grace und ihren Schwestern hin und her sah und nach Ähnlichkeiten zwischen ihnen suchte. Einmal sah Grace doch
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