Ein verfuehrerischer Handel
beinahe gefallen. Aber sie fing sich, lehnte sich gegen ein schmiedeeisernes Gitter, um Luft zu holen und zu überlegen, wohin sie sich wenden sollte; doch ihr Kopf war ganz benommen, und während die Stunden vergingen, trugen ihre Beine sie ziellos von einer Straße in die nächste.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Schon bald würde es dunkel sein, und sie brauchte eine Unterkunft. Ariel blickte auf ihre Hände und hatte das Gefühl, sie würden gar nicht zu ihrem Körper gehören. Sie sah, dass sie noch immer ihren kleinen Koffer trug, und erinnerte sich daran, dass sich in ihm ihr ganzer Besitz befand - auch die Münze, die der Graf ihr gegeben hatte. Wenn sie sparsam war, würde sie vielleicht lange genug reichen, bis sie eine Art Stellung fand.
Nach einem tiefen Atemzug sah sie sich um. Sie war viel weiter gegangen als gedacht. Die Gebäude in diesem Teil der Stadt waren ein wenig heruntergekommen, etliche Fenster zerbrochen; sie hingen schief in den Angeln. Ihr fehlte völlig die Orientierung, die Gegend war viel schäbiger als diejenige rings um die Brook Street. Aber sie entdeckte ein kleines Hotel in der Mitte des Häuserblocks vor ihr. Möglicherweise fand sie dort eine billige Bleibe.
Sie betrat die trübe Eingangshalle und stellte den Koffer auf den verschlissenen Teppich. »Sir? Könntet Ihr mir vielleicht helfen?«
Der Mann mit dem roten Gesicht blickte von seinen Papieren auf und runzelte die Stirn; unter dem braunen Schirm seiner Mütze musterte er sie gründlich. »Ihr wollt ein Zimmer?«
»Das ist richtig. Nicht so teuer, es kann ein einfaches ein.«
Er sah sich um und entdeckte sonst niemanden. »Ein Zimmer nur für Euch?«
Ariel nickte. »Ja, bitte.«
Der Portier betrachtete ihre Kleidung, ein schlichtes braunes Wollkleid und einen Kragen aus weißem Musselin, dazu eine einfache braune Haube, die unter ihrem Kinn ge-bunden war. »Wo ist Euer Mann? Ihr seid ihm doch nicht etwa weggelaufen?«
»Nein! Ich bin nicht ... nicht verheiratet.«
Der Blick des Mannes wurde noch düsterer, und er schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid. Ladys wie Ihr machen nur Schwierigkeiten. Und die wollen wir hier nicht.«
Ariels Gesicht lief hochrot an. Du große Güte, er glaubte, sie sei eine Dirne! »Ich versichere Euch, Sir, ich bin nicht ...nicht so eine. Ich war ... ich war nur ...« Verzweifelt suchte sie in ihrem benommenen Kopf nach einer plausiblen Geschichte - irgendetwas, das erklären würde, was eine junge Frau allein in der Stadt machte. »Ich sollte meine Kusine heute treffen. Es muss etwas geschehen sein - sie hat sich verspätet. Ich brauche nur ein Zimmer, bis sie eintrifft.«
Er schüttelte nur den Kopf. »Versucht es anderswo.«
Sie begriff, dass es nichts nützen würde, wenn sie noch länger bettelte. Ariel stolperte zurück auf die Straße, sie blinzelte, weil neue Tränen in ihre Augen stiegen. Justin musste gewusst haben, was sie erwartete, als er sie weggeschickt hatte. Ihre Hoffnung auf seine Liebe war falsch gewesen. Er hatte sich niemals etwas aus ihr gemacht. Sie bedeutete ihm gar nichts. Ihr Herz schmerzte unerträglich.
Sie versuchte es in zwei weiteren Hotels, doch auch hier ohne Erfolg; schließlich fand sie ein stickiges Dachzimmer über einem Gasthaus am Strand. Der Schankraum war gleich unter ihr. Dröhnendes Gelächter drang bis zu ihr herauf; doch wenigstens war es sauber, und es gab ein Schloss an der Tür.
Ariel sank auf das schmale Bett, das an der Wand stand. Sie dachte an Justin und grübelte über ihren schrecklichen Irrtum nach. Warum hatte sie ihn nicht als den Mann gesehen, der er wirklich war? Wie konnte sie sich in ihm nur so getäuscht haben? Aber die Antworten blieben aus und nach weiteren unruhigen Stunden rollte sie sich auf dem Bett zusammen, versuchte, in ihren Kleidern einzuschlafen.
Noch lange wälzte sie sich vor Schmerz und Kummer hin und her. Als die Sonne am nächsten Morgen aufging, verbat sie es sich, an den zärtlichen, liebevollen Mann zu denken, den Justin gemimt hatte; doch immer wieder kamen die Erinnerungen. Sie lachten zusammen in Tunbridge Wells. Sie half ihm mit seinen Geschäftsbüchern, sie schmiedeten Pläne, Steinhäuser für die Arbeiter in Cadamon zu bauen. Und sie liebten einander zärtlich in dem gemütlichen Landhaus, das er gemietet hatte.
Der Morgen verging, es wurde Nachmittag. Immer wieder machte sie Anstalten, aufzustehen; doch sie war so erschöpft, so ausgelaugt, dass sie keinen Entschluss fassen konnte. Aber selbst
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