Ein verfuehrerischer Tanz
schützen. Bei einer Verlobung, die nur siebenundzwanzig Stunden gedauert hatte, hatte sie ja auch kaum Zeit gehabt, Grenzen in diesem unpersönlichen Zweckbündnis abzustecken.
»Amelia«, hauchte er leise an ihrem Ohr. »Ich muss dich besitzen.«
Sie erbebte innerlich, ein gepresstes Schluchzen stieg aus ihrer Kehle hoch.
Er stutzte und ließ Amelia los. Ihre Schulter zitterte unkontrolliert.
»Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?«
»Doch«, sagte sie aufrichtig. »Du machst mir Angst.«
»Verdammt, ich hab niemanden umgebracht. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.«
»Oh doch, dazu habe ich allen Grund.« Und keiner dieser Gründe hatte nur das Geringste mit Leos Tod zu tun. Nein, sie hatte Angst vor dem glühend heißen Prickeln, das ihren Körper befeuerte, und seinem lustvollen Blick. Wie konnte sie ihm das erklären?
Dummerweise habe ich mir eingebildet, du würdest mehr für mich empfinden, dachte sie. Aber das ist natürlich nicht der Fall. Ich habe Angst, dass ich zu viel von dir erwarte und mehr will, als du zu geben bereit bist. Wahrscheinlich wirst du mir nie dein Vertrauen schenken. Während ich wie ein offenes Buch für dich bin, hältst du es nicht einmal für nötig, mir meine Fragen zu beantworten. Und ich brauche Zeit, bis ich dir meinen Körper schenken kann, ohne dabei mein törichtes, zerbrechliches Herz aufs Spiel zu setzen.
»Leos Mitgliedsmünze«, flüsterte sie. »Wenn ihr die findet, weiß ich, dass du unschuldig bist.«
Seine Miene wurde abweisend, und er ließ Amelia los. »Einverstanden. Solange Leos Mörder frei herumläuft, bedränge ich dich nicht mehr. Aber sobald die Münze gefunden und meine Unschuld bewiesen ist, gibt es keinen Hinderungsgrund mehr. Und wenn ich dich nehme, dann ganz. Ich werde dich ganz besitzen, ich werde deinen Körper streicheln und schmecken, und du wirst mir nichts versagen.«
Sie schaute zu ihm hoch, gelähmt vor Verlangen und Furcht.
»Sag ja, Amelia.«
»Ja«, brachte sie leise heraus. Oh Schreck, auf was hatte sie sich da gerade eingelassen?
Er erhob sich und schickte sich an, das Schlafzimmer zu verlassen. Amelia sank vor den Kissenberg und klemmte die Schenkel zusammen, als würde ihr das helfen, den süßen, sinnlichen Schmerz in ihrem Schoß zu lindern.
An der Tür blieb er kurz stehen und warf ihr einen verlangenden Blick zu.
»Und vergiss nicht, Amelia, auch wenn ich nicht zu dir komme, braucht dich das nicht davon abzuhalten, zu mir zu kommen. Meine Tür ist unverschlossen.«
9
J uno tänzelte nervös, als Spencer sich in den Sattel schwang. Der Stallknecht, der die Kutschen begleitete, hatte die Stute fast den ganzen Vormittag in einem langsamen Schritttempo geritten, und das temperamentvolle Tier fieberte danach, wild draufloszugaloppieren. Genau wie Morland. Ein guter, harter Ritt war genau das, was er brauchte. Deshalb hatte er beschlossen, vorauszureiten und unterwegs Zimmer in einem Gasthof zu reservieren.
Er gab der schnaubenden Stute die Sporen. Kaum dass das Pferd in einen schnellen Trab verfiel, fuhr der Wind durch Spencers Haare – und sorgte für erfrischende Kühlung an diesem schwülwarmen Nachmittag. Statt jedoch die Schönheiten der vorüberziehenden Landschaft zu genießen, sah Spencer dauernd Amelia vor seinem geistigen Auge. Ihre offenen, weichen, goldenen Haare im nächtlichen warmen Feuerschein. Ihr rosiges Fleisch, lediglich verhüllt von durchschimmerndem weißem Baumwollmusselin.
Ihre strahlenden furchterfüllten blauen Augen.
Verdammt, diese Angst traf ihn wie ein Messerstich ins Herz. Auf dem Ball hatte er sich von ihrem Mut und Verstand angezogen gefühlt. Schon während des verfluchten Walzers und später, als sie ihm vor ihrem Jawort den Kuss abtrotzte, hatte sie ihn herausgefordert, ihn gereizt, fasziniert, erregt. Sie ließ sich nicht einschüchtern. Was hatte sie an jenem Morgen nach Leos Tod in der Kutsche gesagt? Dass sie nichts weiter als eine Frau und ein Mann seien.
Nicht mehr, leider Gottes.
Dank der ehrenvollen Mitgliedschaft im Stud Club war er jetzt ein angeblicher Mörder und sie seine werte Ehefrau. Heute Morgen hätte er ein hochzufriedener, rundum befriedigter Bräutigam sein können, stattdessen war er tief frustriert. Bloß weil Julian Bellamy Adlige verachtete, Rhys St. Maur als Jugendlicher ein Hitzkopf und Leo Chatwick zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Amelia hatte Angst vor ihm.
Spencer war über die Maßen erregt gewesen, und was hatte sie gemacht?
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