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Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Titel: Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y.S. Lee
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Zeit konnte Mary ein wenig herumschnüffeln, indem sie vorgab, »ein bisschen spazieren zu gehen« oder »ein paar Besorgungen zu machen«.
    Heute jedoch fühlte sie sich total ausgepumpt und sie war irgendwie ungeschickt, ließ Sachen fallen und stieß sich an Türrahmen. Nach dem Mittagessen hatte sie kurz überlegt, die Hausangestellten auszufragen, ob es in der letzten Zeit Veränderungen bei Abläufen oder Lieferungen von Dingen gegeben habe, bei denen es sich möglicherweise um geschmuggelte indische Kunstgegenstände oder Juwelen handelte. Aber das Hauspersonal verhielt sich ihr gegenüber noch zurückhaltend. Ihre Stellung als Gesellschafterin war seltsam. Natürlich war sie technisch gesehen auch eine Hausangestellte. Aber sie aßgemeinsam mit der Familie und ihr Schlafzimmer lag im selben Stockwerk. Sie nannte die Hausangestellten bei ihren Vornamen, während diese sie mit Miss Quinn anredeten. Sie wäre schief angesehen worden, wenn sie sich mit ihnen gemein gemacht hätte oder im Untergeschoss aufgetaucht wäre. Sogar das mürrische kleine Küchenmädchen, das sie jeden Morgen weckte, schien auf der Hut vor ihr zu sein.
    Mary unterdrückte ein weiteres Gähnen. Vielleicht würde sie ein langweiliges Buch eindösen lassen. Nach einem Nickerchen würde sie sich bestimmt besser fühlen. Das Wohnzimmer, das an den Salon angrenzte, war kühl und dunkel. Mit schweren Augenlidern überflog Mary die Bücherregale. Die Bände hier gehörten fast alle Angelica und die Auswahl war mager: Schauerromane und rührselige Gedichte, gelegentlich ein Werk »bildender« Literatur. Willkürlich fischte sie einen Band heraus, der den Titel ›Ein Gebinde lyrischer Sträußchen‹ trug, und ließ sich in der dunkelsten Ecke des Raumes in einem Ohrensessel nieder.
    Abgesehen von nachdrücklich gespielten Akkorden auf dem Klavier war das Haus still. Mary hatte ungefähr eine halbe Stunde mit benommenem Dösen zugebracht, da wurde das Klavierspiel mitten in einem Lauf abgebrochen. Das an sich war nicht ungewöhnlich, aber Angelicas gezischtes Flüstern ließ Mary aufhorchen: »Michael! Was machen Sie denn hier?«
    »Mit Ihnen reden, was sonst?«
    »Seien Sie mal ernst!«
    »Ich meine es ganz ernst. Mrs Thorold hat sich zurückgezogen, nehme ich an. Wo ist Miss Quinn?«
    Eine Pause. Dann in abfälligem Ton: »Meinten Sie nicht ›Mary‹?«
    Eine Dame würde sich jetzt bemerkbar machen, dachte Mary. Mit den Füßen scharren oder diskret hüsteln oder dergleichen. Aber sie blieb ganz still sitzen.
    Michaels Stimme war angespannt. »Wollen Sie andeuten, dass ich Miss Quinn gegenüber zu vertraulich bin?«
    »Ich brauche gar nichts anzudeuten. Ich habe auf dem Fest gesehen, wie Sie mit ihr geflirtet haben und ihr zu Hilfe geeilt sind. Jeder hat das gesehen!«
    Er seufzte. »Das war doch Absicht. Ich dachte, wir wären übereingekommen, dass es das Beste wäre, wenn ich sie ablenken würde. Interesse zu zeigen war die einfachste Lösung.«
    Da war es heraus: die unschmeichelhafte Wahrheit hinter Michaels kokettem Verhalten. Mary überlegte, ob sie verletzt sein sollte. Ein wenig vielleicht, aber ihre Neugier war stärker als ihr Stolz. Sie wollte lieber wissen, wovon sie abgelenkt werden sollte.
    »Es gibt ›Interesse zeigen‹ und ›sich wie ein vernarrter Welpe‹ benehmen!«, fauchte Angelica. »Was für ein lächerliches Betragen!«
    »Tut mir leid, dass Sie es so aufgefasst haben.« Michaels Stimme war ruhig, auch wenn sie vor unterdrückten Empfindungen bebte.
    »Ich bin nicht die Einzige. Miss Quinn hält Sie ebenfalls für einen Narren. Sie hat den Tee absichtlich verschüttet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Und das hat ja auch funktioniert! Sie und James Easton sind ihr beide eiligst zu Hilfe gekommen, mit viel Getue   –«
    »Es reicht«, unterbrach er sie. »Jemand könnte Sie hören.«
    Aber Angelica fuhr fort und ihre Stimme wurde lauter und zittriger. »Sie führt was im Schilde, verstehen Sie. Sie sitzt da und sieht aus, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte, klimpert Sie und Papa mit den Augenlidern an, und Sie fallen auch noch darauf herein. Sie glauben wohl, ich bin zu dumm, um zu sehen, was da abläuft, aber in Wirklichkeit sind Sie der Blinde!«
    »Reden Sie doch leiser.«
    »Fassen Sie mich nicht an! Es stimmt, es stimmt. Sie werden es schon noch sehen!«
    Es entstand eine längere Pause. Tat Michael Angelica weh? Nein. Dazu war es zu still. Mary zählte bis zwanzig, ehe die beiden wieder zu sprechen

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