Ein verhaengnisvoller Winter
Dieb von Bagdad“ gegangen, nicht wahr?“
„Nein, nein“, versicherte Richard, „das war schön, mit dem Weihnachtsmann und so.“
„Fandest du es wirklich gut?“, fragte sie ihn zweifelnd. Er hatte zeitweise nicht den Eindruck erweckt, er fände den Film sonderlich interessant. So oft, wie er sie angesehen hatte statt der Leinwand. Doch dann zuckte Josefine im Geiste die Achseln. Manchmal dachte sie einfach zu viel. „Ich fand das so schön!“, rief sie noch einmal begeistert. „Das Wunder von Manhattan“, seufzte sie verträumt. „Obwohl wir ja immer aufs Christkind gewartet haben, als Kinder. Und du? Kam bei euch der Weihnachtsmann oder das Christkind?“ Neugierig sah sie ihn an.
Er grunzte abfällig. „Bei uns kam gar nichts. Unsere Alten haben sich zur Feier des Tages mit dem teuren Schnaps besoffen anstatt mit dem Fusel, und wenn wir Glück hatten, haben wir wegen des heiligen Festes ausnahmsweise mal keine rein bekommen.“
„Oh!“ Geschockt sah Josefine ihn an.
„He, guck nicht so. Ich wollt dir die Stimmung nicht verderben. Erzähl mal von eurem Weihnachten. Das würd ich wirklich gern hören.“
Josefine z ögerte noch einen Moment und sah ihn betroffen an. Dann fasste sie sich und klammerte sich etwas fester an seinen Arm. „Also schön. Jedes Jahr Heilig Abend…“, begann sie und erzählte Richard ihre liebsten Kindheitserinnerungen.
Am frühen Morgen, drei Tage später, trat Richard gut gelaunt aus dem Tabakladen heraus und steckte sich eine Zigarette an. Er kam grad von zu Hause und befand sich auf dem Weg zur Arbeit. Als er die Straße überqueren wollte und sein Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite fiel, hielt er erschrocken inne. Dort drüben vor dem Haushaltwarenladen mühte sich der alte Winter gerade ab, eine volltrunkene Gestalt von seinem Eingang aufzulesen. Jetzt wusste Richard auch, warum sein Vater nicht nach Hause gekommen war. Schnell wechselte Richard die Richtung und beschleunigte seinen Schritt. Als er Georg Winter seinen Namen rufen hörte, blieb er ergeben stehen und drehte sich schließlich um. „Ja?“, rief er quer über die Straße zurück und stellte sich dumm.
„Komm her und hilf mir gefälligst, deinen versoffenen Vater von meinem Ladeneingang zu entfernen.“
„Verdammt!“ Niedergeschlagen schmiss Richard die Zigarette weg und marschierte auf den Laden zu.
„Ich weiß auch nicht, warum dein Vater sich immer ausgerechnet meinen Ladeneingang aussucht, um zu schlafen. Ein Wunder, dass er heute Nacht nicht erfroren ist.“
„Ihr Eingang ist der einzige, der so groß ist und dazu noch überdacht. Außerdem liegt er auf direktem Weg zwischen dem Ochsen und unserer Wohnung“, erklärte Richard übertrieben freundlich. Und wenn sein Vater wüsste, dass der älteste Sohn der Winters vor etlichen Jahren mal einer der vielen war, der der guten Frau Fracht an die Wäsche gegangen ist, dann würde er hier noch viel mehr machen, als einfach nur zu schlafen. Georg Winter Junior war mit Richards ältestem Bruder Gustav zur Schule gegangen und war genauso überheblich wie sein Vater. Er hatte die Fracht-Brüder bei jeder Gelegenheit als Abschaum bezeichnet, aber es mit deren Mutter zu treiben, da war er sich nicht zu schade gewesen. Dafür hatte er allerdings auch vom Gustav die Fresse poliert bekommen. Jetzt würde Richard liebend gerne das gleiche mit dem Senior machen, wenn dieser nicht bald mit dem Gekeife aufhörte. Die Passanten genossen das Schauspiel.
„Jetzt schaff ihn schon hier weg!“ Hektisch fuchtelte Winter mit seinen Händen.
„Ich bin ja dabei“, erwiderte Richard mit zusammengebissenen Zähnen. Er fasste seinen schnarchenden Vater grob unterm Arm und riss ihn hoch. „He, los, Vatter, aufwachen!“, rief er Rudolf Fracht zu. Sein Vater rührte sich nicht.
„Schaff ihn bloß hier weg! Ich muss wieder rein, ich hab Kundschaft. Die beim Eintreten über deinen volltrunkenen Vater klettern musste, wohlbemerkt. Dass mir das nicht mehr vorkommt!“ Damit verschwand er wieder im Laden.
„Das mir das nicht mehr vorkommt!“ äffte Richard den Älteren murmelnd nach. „Soll ich den Alten an die Leine nehmen, oder was? Blödmann.“ Er bückte sich und schüttelte seinen Vater diesmal. „Aufwachen, du versoffenes Schwein!“, murmelte er halblaut. Er griff erneut wütend nach einem Arm, als die Ladentür sich öffnete und Josefine heraustrat. Als hätte er sich verbrannt, ließ Richard den Arm seines Vaters los, so dass
Weitere Kostenlose Bücher