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Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Wenn er, so wie jetzt, allein vor der Tür stand und zum Ende des Flurs blickte, wurde ihm schwummrig. Aber so war Harry Davis nun einmal. Er mochte keine Ruhe. Er stand gern mitten im Leben, inmitten von Lärm, Kids, Rucksäcken und jugendlicher Unsicherheit.
    Er suchte das Klassenzimmer, klopfte kurz und steckte den Kopf durch den Türspalt. In Drew Van Dynes Klassen saßen fast nur Nieten. Das sah man schon auf den ersten Blick. Die Hälfte der Jugendlichen hatte die Stöpsel ihrer iPods in den Ohren. Manche saßen auf den Tischen. Andere standen am Fenster. Ein fetter Kerl fummelte in der hinteren Ecke mit einem Mädchen, beide mit weit aufgerissenem Mund. Man konnte den Speichel sehen.
    Drew Van Dyne hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und die Hände im Schoß gefaltet. Er sah Harry Davis an.
    »Mr Van Dyne? Ich müsste Sie ganz kurz sprechen.«
    Drew Van Dyne grinste ihn anmaßend an. Er war ungefähr zehn Jahre jünger als Davis, also Mitte dreißig. Vor acht Jahren war er als Musiklehrer an die Schule gekommen. Und genauso sah er auch aus: Ein gescheiterter Rock’n’Roller, der eigentlich hätte groß rauskommen müssen und sollen, wenn die dämlichen Bosse der Scheiß-Plattenfirmen seine Genialität nicht so schmählich übersehen hätten. Jetzt gab er Gitarrenunterricht und arbeitete in einem Musikgeschäft, wo er über den langweiligen Geschmack seiner Kunden lästerte.
    Durch die Kürzungen im Musikunterricht war Van Dyne gezwungen gewesen, auch ein paar von den Kursen zu übernehmen, bei denen Lehrer in erster Linie als Babysitter gefragt waren.
    »Aber gewiss doch, Mr D.«
    Die beiden Lehrer traten auf den Flur. Die Türen waren dick und schalldicht. Wenn man sie hinter sich schloss, war es still im Flur.

    Van Dyne grinste immer noch anmaßend. »Ich wollte gerade mit dem Unterricht anfangen, Mr D. Was kann ich für Sie tun?«
    Weil es im Flur sehr stark hallte, flüsterte Davis: »Haben Sie das von Aimee Biel gehört?«
    »Von wem?«
    »Aimee Biel. Eine Schülerin von uns.«
    »Ich glaube nicht, dass sie in einer meiner Klassen gewesen ist.«
    »Sie wird vermisst, Drew.«
    Van Dyne sagte nichts.
    »Haben Sie mich verstanden?«
    »Ich sag doch, ich kenne sie nicht.«
    »Drew …«
    »Außerdem«, fuhr Van Dyne fort, »würde man uns doch sicher informieren, wenn eine Schülerin vermisst wird. Oder sind Sie da anderer Ansicht?«
    »Die Polizei glaubt, sie ist ausgerissen.«
    »Und Sie nicht?« Van Dyne grinste weiter, das Grinsen wurde vielleicht sogar noch etwas breiter. »Die Polizei wird wissen wollen, wie Sie darauf kommen, Mr D. Vielleicht sollten Sie sich melden. Und denen alles erzählen, was Sie wissen.«
    »Genau darüber denke ich nach.«
    »Gut.« Van Dyne beugte sich näher an ihn heran und flüsterte: »Die Polizei würde bestimmt wissen wollen, wann und wo Sie Aimee zum letzten Mal gesehen haben, was glauben Sie?«
    Van Dyne lehnte sich zurück und wartete, wie Davis reagierte.
    »Wissen Sie, Mr D«, fuhr Van Dyne fort, »die müssen alles wissen. Die müssen wissen, wo sie war, mit wem sie gesprochen hat und worum es in dem Gespräch ging. Wahrscheinlich werden die sich das alles ganz genau ansehen, meinen Sie nicht? Vielleicht setzen sie sogar eine ganze Ermittlungsgruppe darauf an,
die die wunderbare Arbeit unseres Lehrers des Jahres gründlich unter die Lupe nimmt?«
    »Wie können Sie …?« Davis’ Knie fingen an zu zittern. »Sie haben doch mehr zu verlieren als ich.«
    »Wirklich?« Drew Van Dyne stand jetzt so nah vor ihm, dass Davis kleine Speicheltröpfchen auf der Gesichtshaut spürte. »Sagen Sie, Mr D, was genau habe ich zu verlieren? Mein hübsches Haus im malerischen Ridgewood? Meinen ausgezeichneten Ruf als beliebter Lehrer? Meine flotte Frau, die meine Leidenschaft für die Erziehung der Jugend teilt? Oder vielleicht meine hübschen Töchter, die zu mir aufblicken?«
    So standen sie sich einen Moment lang gegenüber. Davis bekam kein Wort heraus. Irgendwo in der Ferne, vielleicht in einer anderen Welt, hörte er ein Läuten. Die Türen gingen auf. Schüler strömten aus den Klassenzimmern. Die Korridore füllten sich mit ihrem Lachen und ihren Ängsten. Harry Davis schloss die Augen und ließ sich von der Masse der Schüler mittragen, bis er weit weg war von Drew Van Dyne, an einem Ort, an dem er viel lieber gewesen wäre.
     
    Die Livingston Mall wurde langsam alt und versuchte es mit aller Macht zu verbergen, aber die Renovierungen vermittelten eher den

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