Ein verhängnisvolles Versprechen
standen mitten in der Lobby. Patienten und Besucher gingen auf beiden Seiten an ihnen vorbei. Manche kamen ihnen sehr nah.
Myron sagte: »Könnten wir nicht irgendwohin gehen, wo wir etwas ungestörter sind?«
Edna Skylar lächelte freudlos. »Diese Menschen sind in Dinge vertieft, die für sie viel wichtiger sind als unser Gespräch.«
Myron nickte. Vor ihm stand ein alter Mann mit einer Sauerstoffmaske. Und an der Anmeldung eine blasse Frau mit schlecht sitzender Perücke, die mit gleichermaßen resigniertem wie bestürztem Blick ins Leere starrte, als fragte sie sich, ob sie hier je wieder herauskommen würde oder ob das noch eine Rolle spielte.
Edna Skylar sah ihn an. »Der Tod ist hier allgegenwärtig«, sagte sie.
»Wie gehen Sie damit um?«, fragte Myron.
»Wollen Sie das übliche Klischee hören, dass man Privatleben und Beruf trennen muss?«
»Eigentlich nicht.«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht. Meine Arbeit ist interessant. Sie wird nie langweilig. Ich sehe viele Tote und Sterbende. Auch das wird nie langweilig. Es hat mir nicht geholfen, meine eigene Sterblichkeit zu akzeptieren oder so etwas. Ganz im Gegenteil. Der Tod ist für mich etwas Ungeheuerliches geblieben. Das Leben ist noch wertvoller geworden; Sie werden das nicht nachvollziehen können, wie wertvoll es für mich ist. Ich habe den wahren Wert des Lebens erkannt, und der hat nichts mit den üblichen Allgemeinplätzen zu tun, die man so häufig hört. Der Tod ist mein Feind. Ich akzeptiere ihn nicht. Ich bekämpfe ihn mit allen Mitteln.«
»Wird das mit der Zeit nicht ermüdend?«
»Doch, natürlich. Aber was soll ich sonst machen? Kekse backen?
An der Wall Street arbeiten?« Sie sah sich um. »Sie haben Recht – hier wird man noch verrückt. Kommen Sie mit, aber ich habe nicht viel Zeit, also reden Sie weiter.«
Myron erzählte ihr den Rest der Geschichte von Aimees Verschwinden. Er fasste sich kurz, erzählte nicht, wie er in die Sache verwickelt war, hob aber die Tatsache heraus, dass beide Mädchen den gleichen Geldautomaten benutzt hatten. Sie unterbrach ihn nur selten, und wenn, dann nur für kurze Rückfragen. Als sie in ihrem Büro ankamen, setzten sie sich.
»Klingt eigentlich, als wäre sie ausgerissen«, sagte Edna Skylar.
»Das ist mir klar.«
»Jemand hat Ihnen meinen Namen zugespielt, ist das korrekt?«
»Mehr oder weniger.«
»Dann wissen Sie im Prinzip schon, was ich gesehen habe.«
»Ich kenne nur die Grundzüge. Ihre Aussage hat die Ermittler in der Annahme bestätigt, dass Katie von zu Hause ausgerissen ist. Ich frage mich nur, ob Sie auch etwas gesehen haben, das dagegen spricht?«
»Nein. Und ich habe mir die Situation mindestens hundert Mal durch den Kopf gehen lassen.«
»Ist Ihnen bekannt«, fragte Myron, »dass Entführungsopfer sich oft mit ihren Entführern identifizieren?«
»Ich kenne das alles. Das Stockholm-Syndrom und seine vielen abstrusen Ableger. Aber den Eindruck hatte ich absolut nicht. Katie hat nicht besonders erschöpft gewirkt. Ihre Körpersprache passte zu dem, was sie gesagt hat. Sie hatte keine Panik in den Augen und auch kein religiöses Leuchten. Sie hat mich mit klarem Blick angesehen. Ich habe auch keinen Hinweis auf irgendwelche Drogen gesehen, wobei ich allerdings gestehen muss, dass die Begegnung sehr kurz war.«
»Wo genau haben Sie sie gesehen?«
»An der 8th Avenue in der Nähe der 21st Street.«
»Und sie war auf dem Weg zum U-Bahnhof.«
»Ja.«
»Da fahren mehrere Linien.«
»Sie ist in den C-Train gestiegen.«
Der C-Train fuhr im Prinzip in Nord-Süd-Richtung durch Manhattan. Die Information nützte ihm nichts.
»Erzählen Sie mir etwas über den Mann, der bei ihr war.«
»Er muss so dreißig, fünfunddreißig Jahre alt gewesen sein. Mittelgroß. Gut aussehend. Lange, dunkle Haare. Dreitagebart.«
»Narben, Tätowierungen, irgendwas in der Art?«
Edna Skylar schüttelte den Kopf und erzählte ihm, wie sie mit ihrem Mann die Straße entlanggegangen war, dass Katie anders ausgesehen hatte, vor allem älter und reifer, und eine andere Frisur gehabt hatte. Edna war sich aber erst sicher gewesen, dass die Frau wirklich Katie war, als sie sich direkt an sie gewandt und gesagt hatte: »Sie dürfen niemandem erzählen, dass Sie mich gesehen haben.«
»Und Sie sagten, dabei hätte sie ängstlich ausgesehen?«
»Ja.«
»Aber sie hatte keine Angst vor ihrem Begleiter.«
»Genau. Darf ich Sie was fragen?«
»Natürlich.«
»Ich weiß ein bisschen was
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