Ein verhängnisvolles Versprechen
Eindruck eines schlechten Faceliftings als von wahrer Jugend.
Bedroom Rendezvous lag im Erdgeschoss. Manche betrachteten die Ladenkette als arme und etwas heruntergekommene Cousine von Victoria’s Secret, aber eigentlich waren die beiden Cousinen nur schwer unterscheidbar. Der Unterschied lag letztlich nur in der Präsentation. Die Wäschemodels mit ihren lüstern herausgestreckten Zungen und den suggestiven Gesten auf den großen Postern erinnerten eher an Pornostars als an Mannequins. Der Werbeslogan von Bedroom Rendezvous, der über den tiefen Dekolletés der drallen Models platziert war, lautete: MIT WELCHER FRAU WOLLEN SIE INS BETT GEHEN?
»Mit einer heißen«, sagte Myron laut. Auch das war nicht ganz anders als in dem Werbespot von Victoria’s Secret, in dem die eingeölten Tyra und Frederique sich fragen: »What is sexy?« Antwort: Echt heiße Frauen. Die Kleidung spielt dabei keine Rolle.
Die Verkäuferin trug einen engen, getigerten Body. Sie hatte hochtoupierte Haare und kaute Kaugummi, strahlte aber so viel Selbstbewusstsein aus, dass sie dabei nicht peinlich oder billig wirkte. Auf ihrem Namensschild stand SALLY ANN.
»Suchen Sie was Bestimmtes?«, fragte Sally Ann.
»Ich glaube nicht, dass Sie was in meiner Größe haben«, sagte Myron.
»Sie wären überrascht. Und, wie sieht’s aus?« Sie deutete auf das Poster. »Starren Sie ihr einfach gern aufs Dekolleté?«
»Ja, schon. Aber deshalb bin ich nicht hier.« Myron zog ein Foto von Aimee aus der Brusttasche. »Kennen Sie dieses Mädchen?«
»Sind Sie von der Polizei?«
»Kann schon sein.«
»Eher nicht.«
»Wieso sagen Sie das?«
Sally Ann zuckte die Achseln. »Also, warum suchen Sie sie?«
»Das Mädchen wird vermisst. Ich will sie finden.«
»Zeigen Sie mal her.«
Myron gab ihr das Foto. Sie betrachtete es. »Kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Vielleicht eine Kundin?«
»Nein. An Kunden erinnere ich mich.«
Myron griff in eine Plastiktüte und zog das weiße Negligé heraus, das er in Aimees Schublade gefunden hatte. »Kommt Ihnen das bekannt vor?«
»Natürlich. Das ist aus der Heiße-Lippen-Serie.«
»Haben Sie das verkauft?«
»Möglich. Die sind ganz gut gelaufen.«
»Das Preisschild ist noch dran. Können Sie vielleicht feststellen, wer es gekauft hat?«
Sally Ann runzelte die Stirn und deutete auf Aimees Foto. »Glauben Sie, dass Ihr vermisstes Mädchen das gekauft hat?«
»Ich hab’s bei ihr in der Schublade gefunden.«
»Trotzdem.«
»Was trotzdem?«
»Es ist zu nuttig und unbequem.«
»Und was heißt das? Sie sieht einfach zu nobel aus?«
»Nein, das meine ich nicht. Das wird so gut wie nie von Frauen gekauft. Männer kaufen das. Der Stoff kratzt. Es rutscht in den Schritt. Das Stück spricht die männliche Fantasie an, nicht die weibliche. Das ist ein bisschen wie bei Pornovideos.« Sally Ann legte den Kopf schräg und kaute auf dem Kaugummi herum. »Haben Sie sich schon mal einen Pornofilm angesehen?«
Myron sagte mit unbewegter Miene: »Niemals nicht.«
Sally Ann lachte. »Klar. Jedenfalls, wenn eine Frau den Film aussucht, ist das was ganz anderes. Meistens hat er eine Geschichte oder einen Titel, in dem das Wort ›sinnlich‹ oder ›liebevoll‹ vorkommt. Er kann schon vulgär oder so was sein, heißt aber niemals Dreckige Hure 5 . Verstehen Sie, was ich meine?«
»Gehen wir mal davon aus, dass ich verstanden habe. Und dieses Negligé?«
»Das ist das Gegenstück.«
»Zu Dreckige Hure Irgendwas ?«
»Genau. Eine Frau würde sich das nicht kaufen.«
»Und wie erfahre ich, wer es ihr gekauft hat?«
»Wir führen darüber nicht Buch oder so was. Ich könnte die anderen Mädchen fragen, aber …« Sally Ann zuckte die Achseln.
Myron bedankte sich und verließ das Geschäft. Als kleiner Junge war Myron regelmäßig mit seinem Vater hier in der Shopping Mall gewesen. Damals waren sie immer zu Herman’s Sporting
Goods gegangen. Den Laden gab es nicht mehr. Aber als er aus Bedroom Rendezvous heraustrat, sah er trotzdem links den Gang entlang dorthin, wo Herman’s damals gewesen war. Und zwei Eingänge weiter sah er einen Namen, der ihm bekannt vorkam.
PLANET MUSIC.
Myron dachte an Aimees Zimmer. Planet Music. Die Gitarren waren von Planet Music. In ihren Schubladen hatten Quittungen von diesem Laden gelegen. Das war also ihr Lieblings-Musikgeschäft. Gleich neben Bedroom Rendezvous.
Noch so ein Zufall?
In Myrons Jugend waren in dem Laden, der sich dort befand, Klaviere und Orgeln verkauft
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