Ein Versprechen aus Afrika
hinderte ihn unter den gegebenen Umständen daran, die »laufenden Ausgaben« zu begleichen. Deshalb telefonierte er von seinem Hotelzimmer aus mehrmals nach Belgien und gab Anweisungen, damit dort auch alles ordnungsgemäß funktionierte.
Ein anderes Mal, als er seine Visitenkarte präsentierte, auf der er als internationaler »wissenschaftlicher Forscher« geführt wurde, gab er dem Ganzen noch einen letzten Pfiff, indem er sich in das benachbarte Postamt begab. Von dort aus rief er in dem Hotel an, in dem er gerade kostenlos wohnte, und hinterließ mit verstellter Stimme eine Nachricht, die ihm dann sogleich am Empfang überreicht wurde, als er zum Aperitif zurückkehrte. Die Nachricht lautete, dass der belgische Konsul ihn, Professor Henri Boulemans (seine derzeitige Identität), am nächsten Tag zu einer Konferenz in Bordeaux erwarten würde. Dies erhöhte noch sein Ansehen und dementsprechend seine Kreditwürdigkeit.
Es lief aber nicht immer alles so glatt. Von Zeit zu Zeit hatte Ulysse mit der Justiz zu tun und musste auch ab und zu hinter Gitter. Jedes Mal analysierte er dann den Ablauf seiner letzten Gaunerei, stellte sich den Augenblick vor, ab dem es schief gelaufen war, überlegte sich, während er auf Staatskosten beherbergt und ernährt wurde, welchen Fehler er gemacht hatte, welche Kleinigkeit ihn hatte auffliegen lassen. Das war wie ein Spiel. Ulysse war wie ein Bridgespieler, der seine letzte Partie überdachte. Er sah nochmals die Karten vor sich, die er in der Hand gehalten hatte, seine Ansagen, die Antworten seiner Mitspieler, die Karten, die er abgelegt hatte, und ihre Anordnung. Er spielte in Gedanken alles nochmals durch und versuchte, sich im Geiste den »Grandslam« vorzustellen. Sobald er wieder in Freiheit war, begann er voller Ungeduld, die Karten neu zu mischen, dieses Mal allerdings ohne einen Fehler zu begehen.
Allmählich wechselte er zu Ferienorten auf dem Land über, in denen noch die heile Welt herrschte und die Leute weniger misstrauisch waren als anderswo, wo das Essen gut war und die Nächte ruhig. So pendelte er zwischen Limoges, Périgueux, Brive, Montluçon, Clermont-Ferrand, Cahors, Blois und Rodez hin und her und nahm aufgrund von Sprachproblemen schlechte Gewohnheiten an. Doch er unternahm auch einige krumme Touren in Deutschland, Italien, Schweden (dorthin fuhr er per Anhalter) und in den Niederlanden. Jedes Mal, wenn er sich wieder davonschlich, gab er den Zimmerschlüssel ab oder ließ ihn in der Tür stecken. Aber nie dachte er daran, die Hotelrechnung zu begleichen.
Als er sich immer mehr aufs Landesinnere konzentrierte, tappte er schließlich in eine Falle. In einem Hotel in Clermont-Ferrand wurde der Empfangschef, ebenfalls Belgier, auf ihn aufmerksam. In dem Augenblick, als man erkannte, dass der freundliche Gast ein Betrüger war, fühlte sich der Empfangschef verantwortlich und war gekränkt, weil ihn ein Landsmann übers Ohr gehauen hatte. Einige Tage später bezog Ulysse in einem anderen Hotel Quartier. Er besaß nach wie vor seine Schlagfertigkeit, seinen bürgerlichen Charme, seinen grauen Bart und seine guten Manieren sowie seine untadelige Eleganz; er hatte lediglich wieder einmal die Identität gewechselt. Pech für ihn war allerdings, dass das Hotel Aurillac gerade einen neuen Empfangschef eingestellt hatte, nämlich den Belgier, der direkt aus Clermont-Ferrand kam. Er erkannte seinen Wissenschaftler, der heute den Hoteldirektor spielte, auf den ersten Blick. Die Polizei wurde benachrichtigt und Ulysse steckte mal wieder in der Klemme. Er gab drei verschiedene Berufsbezeichnungen und ebenso viele fantasievolle Namen an. Auch sein Geburtsort war nicht eindeutig festzustellen. Doch wusste die Polizei dieses Mal, wo sie nachforschen konnte. Sie setzte sich mit Brüssel in Verbindung und erhielt von dort ein Fax. Ulysses wahre Identität wurde aufgedeckt. Er leugnete weiterhin, spielte den Überraschten, das unschuldige Opfer eines tragischen Irrtums. Es wurden alle Anzeigen gesammelt, die er in ganz Frankreich eingeheimst hatte. Seine Geschichte, eine Art düsteres Märchen, kristallisierte sich immer deutlicher heraus, als man die letzten fünfunddreißig Jahre seines Lebens zurückverfolgte. Immerhin hatte er davon mehr als die Hälfte hinter Gittern verbracht. Er war dreizehn Mal verurteilt worden, was ihm zweiundzwanzig Jahre Gefängnis eingebracht hatte. Dieser Herr hatte eine seltsame Art von Tourismus betrieben.
Der weiße Windhund
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