Ein vortrefflicher Schurke (German Edition)
Brüder, die sich die Hörner abstießen, aber es waren auch mehrere verheiratete Herren darunter. Grundgütiger, waren denn alle Männer so schrecklich, wie ihr Vater gewesen war?
Nein, nicht alle Männer. Giles war nicht so ein Schurke. Allein die Tatsache, dass er sich um seine Mutter kümmerte, statt diesen Maskenball zu besuchen, bewies, dass er sich gebessert hatte.
Als sie sich endlich einen Weg aus dem Saal gebahnt hatte, blieb sie in der dunklen Eingangshalle stehen, um sich zurechtzufinden. Sie wollte nicht noch einmal in Schwierigkeiten geraten.
Plötzlich ging auf der anderen Seite der Halle eine Tür auf, und ein als Priester verkleideter Mann kam mit einer Kerze in der Hand heraus. Mit klopfendem Herzen huschte sie hinter einen Vorhang und betete, dass er sie nicht bemerkt hatte. Der Vorhang war nicht besonders dick, und sie konnte den Mann besser erkennen, als ihr lieb war. Aber sie glaubte nicht, dass er sie sehen konnte, weil sie sich außerhalb des Kerzenscheins befand.
Er hielt inne und legte den Kopf schräg, als lausche er. Das flackernde Licht erhellte sein Profil … und das Muttermal unter seinem Ohr.
Ihr stockte der Atem. Dieses Profil kannte sie nur zu gut – in- und auswendig sozusagen. Giles war doch da! Aber warum schlich er in der Eingangshalle umher?
Als er raschen Schrittes in ein Zimmer ging, dämmerte es ihr: Er musste eine Verabredung mit einem Flittchen haben! Zur Hölle mit ihm, wie konnte er nur? Er war genauso schlimm wie ihre Brüder!
Falls sie sich nicht doch geirrt hatte. Schließlich hatte der Butler gesagt, er sei nicht zugegen.
Sie kam hinter dem Vorhang hervor. Wie konnte sie das Haus verlassen, ohne genau zu wissen, ob Giles tatsächlich mit einer Dirne verkehrte? Falls es so war, würde sie es zwar nicht verwinden, aber sie
musste
es in Erfahrung bringen.
Minerva näherte sich auf Zehenspitzen der Tür, durch die er verschwunden war, nahm all ihren Mut zusammen und betrat den Raum. Der Mann, dem sie gefolgt war, stand halb mit dem Rücken zur Tür und durchstöberte den Schreibtisch. Minerva erstarrte und beobachtete, wie er systematisch eine Schublade nach der anderen durchsuchte. Wenn es Giles war, was um alles in der Welt trieb er dann da?
Der Mann hatte auf jeden Fall Giles’ Aussehen. Er bewegte sich genauso elegant und geschmeidig wie er, und sein Haar war nach dem, was davon unter seinem breitkrempigen Hut zu erkennen war, auch gewellt und dunkelbraun. Er zog eine Mappe heraus, öffnete sie und hielt sie dichter an die Kerze. Dann setzte er fluchend seine Maske ab, um die Papiere besser begutachten zu können.
Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Es
war
Giles! Was führte er nur im Schilde?
Nachdem er die Akte durchgeblättert hatte, versteckte er sie unter seinem Priestergewand, drehte sich um und erblickte Minerva. Im selben Moment setzte er ein charmantes Lächeln auf und streifte sich die Maske wieder über. »Ich glaube, Sie haben sich verlaufen, Madam. Das Fest findet im Ballsaal statt.«
Sie hätte sich dumm stellen sollen, doch das konnte sie einfach nicht. »Wenn sich hier jemand verlaufen hat, dann bist du es, Giles Masters!«
Er schnappte entgeistert nach Luft und war in Sekundenschnelle bei ihr, um ihre Maske hochzuschieben. »Minerva? Was zum Teufel …«
»
Ich
sollte hier wohl die Fragen stellen. Was hast du da gestohlen? Warum bist du überhaupt hier? Ich dachte, du wärst auf dem Land bei deiner Mutter.«
Seine Augen funkelten hinter seiner Maske. »Für alle anderen bin ich das auch.« Er sah sie prüfend an. »Wie hast du es eigentlich geschafft, eine Einladung zu einem Fest von jemandem wie Newmarsh zu bekommen?«
Als sie nicht gleich antwortete, schüttelte er den Kopf. »Du hast dich heimlich eingeschlichen, nicht wahr? Und wie es mein Pech wollte, hast du mir nachspioniert.«
Das tat weh. »Ich habe dir nicht nachspioniert!«, log sie. »Ich bin nur aus Jux hergekommen, nachdem ich meine Brüder über den Ball reden gehört habe. Und gerade habe ich dich zufällig gesehen und …«
»Deine Neugier hat über deine Vernunft gesiegt.« Er hielt sie an den Armen fest, als wollte er sie schütteln. »Du dummes kleines … Was, wenn ich ein gewissenloser Gauner wäre, der dir ein Messer zwischen die Rippen rammt, weil du dich in Dinge einmischst, die dich nichts angehen?«
»Woher soll ich wissen, dass du keiner bist?«, gab sie patzig zurück. Sie ließ sich nicht gern als dumm bezeichnen. »Du hast mir immer noch nicht
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