Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
die Queen, die ihren Untertanen huldvoll dankt, sie durchgelassen zu haben.
»Darling!«, ruft sie atemlos. »Lass dich ansehen!« Widerstrebend stehe ich auf, und Lily, die auf der anderen Seite des Tischs steht, mustert mich rasch von Kopf bis Fuß. »Du siehst hinreißend aus, Evie, Darling. Dieses Teekleid ist wie für dich gemacht! Und habe ich dir nicht gleich gesagt, du bist genau der richtige Typ für roten Lippenstift? Bei deinem Teint steht dir das ganz großartig! Deine Augen wirken plötzlich viel größer und dunkler, deine Haare glänzen, deine Haut leuchtet . Ich komme mir vor, als würde ich in einen Spiegel meiner Jugend schauen.« Mit einem dramatischen Seufzen lässt sie sich auf einem Stuhl nieder und platziert die Handtasche in ihrem Schoß.
Mit einem verschämten Lächeln nehme ich das Kompliment entgegen. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich Lily als junge Frau irgendwie ähnlich sehe.
»Du siehst aber auch ganz wunderbar aus, Lily«, sage ich. Und es stimmt. Heute Abend wirkt sie wie die Reinkarnation von Jackie Onassis. Die sonst hochgesteckten Haare umrahmen in weichen, dunklen Wellen ihr Gesicht, und sie trägt ein perlgraues Etuikleid, dazu eine umgehängte Strickjacke und einen teuer wirkenden Seidenschal, den sie adrett um den Hals geschlungen hat. Und natürlich knallroten Lippenstift.
»Ich dachte, ich mache mich ein bisschen hübsch für dich, mein Herz. Leider komme ich heutzutage nicht mehr allzu oft aus dem Haus. Das ist einer der Nachteile des Älterwerdens. Eheman sichs versieht, steht man morgens mit den Hühnern auf und ist abends wieder im Bett, bevor der Abend überhaupt richtig begonnen hat. Und außerdem scheinen die meisten Menschen in meinem Alter zu vergessen, dass sie noch leben. Ich kann schon froh sein, jemanden zu finden, der mit mir nachmittags in einen Teesalon geht, geschweige denn mit mir ein alkoholisches Getränk zu sich nimmt oder nach sieben Uhr abends mit zum Dinner geht. Langweiler, allesamt.« Und dabei gestikuliert sie so theatralisch und ausholend, dass der Anzugträger hinter ihr in Deckung gehen muss. »Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich die ganze Nacht unterwegs war und nicht das kleinste bisschen Schlaf brauchte.«
Sie faltet die Hände und schaut mich an. »Also, ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich brauche dringend was zu trinken. Was möchtest du, Darling?«
»Felix ist schon an der Theke und holt mir gerade ein Glas Weißwein«, entgegne ich, stehe auf und stelle mich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wo er so lange steckt. »Ich gehe schnell rüber und hole dir was.«
»Oh nein, das lässt du schön bleiben. Ich kann auch selbst gehen. Ich muss denen sowieso genau erklären, wie sie meinen Martini mixen sollen. Keiner dieser jungen Barkeeper heutzutage scheint das mehr zu können. Ein Drama, sage ich dir.«
Ich muss lächeln, und Lily verschwindet in der Menge, aber nur Sekunden später sehe ich sie ganz vorne an der Theke, wo sie noch vor Felix bedient wird, worüber ich laut glucksen muss.
»Darf ich mitlachen?«, fragt neckisch eine vertraute Stimme.
Als ich aufschaue, sehe ich Sam, etwas schüchtern grinsend und die Hände tief in die Manteltaschen vergraben. Er zieht den mehrfach um den Hals gewickelten Schal und die Strickmütze aus und fährt sich mit der Hand über den Kopf. Verdutzt ertappe ich mich dabei, wie ich mir vorstelle, ich täte das. Seinekurzgeschorenen Haare sehen fast aus wie Wildleder, wenn er so darüber streicht: weich und doch rau.
Ich schlucke, als er den Mantel abstreift und in einer flüssigen Bewegung auf den Stuhl wirft. Ein kurzes betretenes Schweigen, als wir uns gegenseitig mustern.
»Du siehst wunderhübsch aus«, sagt Sam leise.
Lächelnd quittiere ich das Kompliment und mustere kurz seine Aufmachung. Er trägt einen weichen beigen Pulli mit V-Ausschnitt, der gut zu seinen sirupbraunen Haaren und den karamellfarbenen Augen passt. Unter dem Pulli lugt gerade so ein frisches blütenweißes T-Shirt hervor, und dazu trägt er eine frisch gebügelte schwarze Hose. Es wundert mich, dass er sich für einen zwanglosen Abend unter Freunden so schick gemacht hat. Man könnte fast meinen, er hätte sich genauso darauf gefreut wie wir anderen. Dabei sind er und Ella doch bestimmt ständig unterwegs. Essen, Theater, nette Bars, was Pärchen halt so machen.
»Du siehst aber auch nicht schlecht aus«, meine ich lächelnd und gucke dann schnell weg, weil ich
Weitere Kostenlose Bücher