Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
sie ihn Jan über den Tisch zuschiebt.
»Wie hast du das denn geschafft?«, frage ich. »Sonst dauert es immer Stunden, bis man hier bedient wird!«
»Jahrelange Übung, Darling«, antwortet Lily geziert, während alle sich über den Tisch beugen, um ihr zu lauschen. »Damals zu meiner Zeit hatte der Barkeeper mein Lieblingsgetränk immer schon fertig gemixt, noch ehe ich einen Fuß in die Bar gesetzt hatte, und wenn nicht, dann brauchte ich bloß zu winken, und sofort standen gleich zwei Drinks auf dem Tisch, um mich für die Wartezeit zu entschädigen.« Sie winkt ein wenig ab. »Wobei ich mich stets an Dorothy Parkers eherne Regel gehalten habe und nie mehr als zwei getrunken habe.« Wir gucken alle etwas verdattert aus der Wäsche, worauf Lily uns mit gespieltem Entsetzen ansieht. »Kennt ihr nicht ihren berühmten Ausspruch?« Kollektives Kopfschütteln ist die Folge, worauf sie missbilligend mit den Zunge schnalzt und rezitiert: »›Ich trinke gern Martini, doch niemals mehr als zwei. Nach dreien liege ich unterm Tisch, nach vieren unterm Hausherrn, owei.‹«
Alle lachen, und Lily nutzt dieses Stichwort, um ein paar Anekdoten aus der guten alten Zeit zum Besten zu geben, wobei Felix, ihr neuer Stichwortgeber und inzwischen vom Getränkeholen zurückgekehrt, die Geschichten hin und wieder etwas ausschmückt. Die beiden scheinen ganz in ihrem Element, als sie in schillernden Farben beschreiben, wie es war, damals bei Hardy’s zu arbeiten.
»Die Leute sind in Scharen dorthin geströmt«, erzählt Felix und schwelgt mit seinem gebannt lauschenden Publikum in nostalgischen Erinnerungen. »Sie haben geplaudert und gestöbert, und dann gab es Lunch oder Nachmittagstee; das war ein richtiges Ereignis.« Lily nickt zustimmend.
Zwar höre ich diese kleinen Anekdoten nicht zum ersten Mal, aber ich höre Felix genauso gerne erzählen wie all die anderen auch. Ich weiß noch, wie er mir das erste Mal Nachhilfe in der Geschichte von Hardy’s Kaufhaus gegeben hat. Das war im Januar, kurz nachdem ich hier angefangen hatte, ein besonders ruhiger Monat, und er erzählte mir, Hardy’s habe damals in den sechziger und siebziger Jahren genauso viele Kunden gehabt wie Harrod’s, und die Menschen seien in Massen hochzufrieden aus dem Laden spaziert, in den Händen die unverwechselbaren creme- und goldfarbenen Tragetaschen. Was ich kaum glauben konnte, weshalb ich ihn fragte, was seiner Meinung nach schiefgelaufen war.
»Man hat einfach aus den Augen verloren, was Hardy’s eigentlich ausmacht«, hatte er traurig erwidert. »Walter Hardy senior, der Kaufhausgründer, war der Ansicht, er könnte Einkaufsgewohnheiten der Menschen revolutionieren. Für seine Kunden sollte Hardy’s so etwas wie ihr verlängertes Wohnzimmer sein. Kundenservice wurde großgeschrieben, nicht Profitmaximierung, und es sollte weder aggressives Verkaufsgebaren geben noch Vornehmtuerei.« Außerdem verriet er mir, Hardy’s sei unter Walters wachsamen Augen zu Londons beliebtestem Kaufhaus avanciert. Sie hatten eine so treue Stammkundschaft, dass Hardy’s für seine Kunden während beider Weltkriege zum Zeichen der Hoffnung wurde, denn wundersamerweise überstand es den Bombenhagel, der das gesamte Stadtbild so dramatisch veränderte, vollkommen unbeschadet. Unzählige Häuser wurden zerstört, und die Menschen pilgerten in Scharen zu Hardy’s, diesem warmen, freundlichen sicheren Zufluchtsort, dessen Türen ihnen immer offenstanden.
Inzwischen hat Felix es Lily überlassen, die Geschichte weiterzuerzählen, und trinkt derweil zufrieden sein Bier. »1945 ging Walter senior in den Ruhestand, und sein Sohn, Walter junior,übernahm die Leitung des Geschäfts mit dem Versprechen, das Erbe seines Vaters getreulich fortzusetzen. Was er dann auch vierzig Jahre lang tat. Doch als er starb, wurde sein Sohn Sebastian der neue Inhaber; aber er hatte für die Vision seines Vaters und Großvaters nicht viel übrig. Unter seiner Führung verwandelte Hardy’s sich in ein Kaufhaus für Snobs, bei dem Reichtum und Statusdenken an erster Stelle standen; gedacht für einen elitären Kundenkreis, sprich seine arrogante Privatschulclique.« Worauf Felix einwirft, das sei damals auch der Grund für seine Kündigung gewesen. Vorher hatte er mehr als dreißig Jahre lang hier gearbeitet, aber er sagt, er habe »nicht für jemanden arbeiten können, dem das Kaufhaus nicht am Herzen liegt«.
Lily tätschelt seine Hand und fährt fort. »Sebastian hat immer die
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