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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Gesicht und den blassblauen Augen. Er und Elsa waren ein schönes Paar, stellte ich fest, und wünschte mir, an diesem Abend in ihrer Gesellschaft bleiben zu können.
    »Kennen Sie Karl May?«, fragte Hermann und ich verneinte. »Ja, warum sollten Sie auch, Sie kommen ja von dort.« Er bemerkte mein Unverständnis. »Ein deutscher Schriftsteller. Er hat auch über Bagdad geschrieben.«
    »Ich kenne aber Goethe«, sagte ich schnell, »ich habe Gedichte von ihm – zu lesen versucht … «
    »Sie sprechen schon recht gut Deutsch«, sagte Hermann.
    »So gut, dass er sich gleich mit den Herren von der SS angelegt hat«, warf Elsa flüsternd ein.
    »Sitzen die drin?«
    »Im Restaurant.«
    »Dann sollten wir langsam gehen. Nicht, dass sie uns hier noch in die Arme laufen.«
    Der Hotelpage vor dem Eingang warf uns ungnädige Blicke zu. Trotz der Abendkühle trug er seinen Mantel offen, damit jeder seine schöne blaue Uniform sehen konnte. Hermann und Elsa beachteten ihn nicht, sondern verabschiedeten sich so herzlich von mir, dass ich gerührt war. Als sie Arm in Arm davongingen, blickte ich ihnen nach, bis ich sie nicht mehr sehen konnte.
    Etwas enttäuscht beschloss ich, noch ein paar Schritte zu tun. Der Wind wehte mir kalten Regen direkt ins Gesicht und in den Hemdkragen. Wohin ich auch sah, eilten die Leute nach Hause oder jedenfalls fort. Ich blickte empor zur Quadriga auf dem Brandenburger Tor und wunderte mich über die seltsame Idee, steinerne Pferde auf das Dach eines Gebäudes zu setzen.
    Sekunden später ertönte Fliegeralarm. Der langgezogene Ton der Sirenen erhob sich nicht wie ein Geräusch, sondern wie eine Erscheinung, die ganze Stadt umfassend, auf- und niederwogend. Ich glaubte, die Sirenen sehen zu können, während ich unwillkürlich schneller ging und inständig hoffte, mich jetzt nicht zu verspäten. Flakscheinwerfer bohrten sich in den dunklen Himmel über der Stadt, die gewaltigen, kalten Säulen aus Licht schwankten, fielen durcheinander und richteten sich wieder auf, als würde der Boden unter ihnen erbeben.
    Gerade noch rechtzeitig kam ich ins Hotel. Der Türsteher war verschwunden, im Foyer herrschte Betriebsamkeit, beunruhigte Gäste wurden in den Keller geführt. Ich schlüpfte an allen vorbei und hastete die Treppe hinauf. Völlig außer Atem erreichte ich den Gang und sah zu meiner Erleichterung, dass die Tür noch geschlossen war. Mein Herr fühlte sich sicher in der Suite und war kaum dazu zu bewegen, sie für einen unbequemen Aufenthalt im sicheren Keller zu verlassen. Ich legte mich auf die Decke und zwang mich, ruhig zu atmen.
    Als ich es endlich geschafft hatte, musste ich mich schon wieder erheben. Jemand näherte sich dem Gang so energischen Schritts, dass er trotz der weichen Teppiche hörbar war. Als der in eine Pagenuniform gekleidete Mann bei mir war, versperrte ich ihm die Tür. Er hob die weiß behandschuhten Hände und legte sie vor der Brust zusammen.
    »Mein Herr, bitte mir in den Luftschutzraum folgen zu wollen.«
    Ich suchte nach Worten, um ihm zu erklären, dass der Großmufti bisher immer in seinen Räumen geblieben war. Doch es wurde zu kompliziert und dauerte dem Hoteldiener zu lange.
    »Diesmal ist es ernst«, fiel er mir ins Wort. »Glauben Sie mir, es ist von großer Wichtigkeit und im Interesse Ihrer Sicherheit, dass Sie alle mir folgen. Wir können es nicht verantworten, Ihren Herrn einer solchen Gefahr auszusetzen.«
    Trotz seiner Jugend und dem nachlässig schief sitzenden Käppi waren sein helles Gesicht und seine blauen Augen geradezu versteinert, so erfüllt schien er von der Dringlichkeit seiner Mission. Die goldenen Knopfreihen auf der Uniform schimmerten bedeutungsvoll. Draußen ertönte seit geraumer Zeit der rasch wechselnde Heulton, genau so, wie es in der im Foyer ausgehängten Broschüre für den Ernstfall beschrieben war.
    »Meinen Sie, diesmal kommen sie bis hierher?«
    Der Hoteldiener kratzte sich am Kopf und schob sein Käppi dabei so weit nach hinten, dass ihm die weizenblonden Haare ins Gesicht fielen. Er rückte es jedoch nicht gerade, sein Aussehen schien ihn nicht zu kümmern, und das warnte mich schließlich.
    »Gut möglich«, sagte er. »Jedenfalls geht es diesmal länger als sonst, verstehen Sie?«
    »Wo sind die anderen?« Ich wies mit dem Kopf den Gang hinunter.
    »Alle schon unten.«
    Ich gab die Tür frei und ließ ihn klopfen. Es dauerte einige Zeit, bis Haddad öffnete. Er war verstimmt, hatte seine Brille nicht auf und sein Hemd

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