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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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vielleicht aber war ich auch einfach einsam. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, in dieser Abgeschiedenheit dem weltbewegenden Kraftzentrum nahe zu sein. Die Aktivitäten meines Herrn allerdings belehrten mich eines Besseren. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass hier, an diesem eigenartigen Ort, alle Fäden zusammenliefen, zu oft besuchten ihn die Würdenträger des Reiches, zu oft hielt er im Radio Ansprachen, die in alle Welt gesendet wurden.
    Ich dachte an die vielen Uniformierten auf den Straßen, an die Gruppen von jungen Frauen, die ich öfter beobachtete, wie sie ihre Einkäufe erledigten oder ihre Kinder begleiteten. Waren sie alle erfüllt vom Glauben an eine neue Welt?
    Als ich das Zimmermädchen Elsa wiedersah, winkte sie mir nur kurz im Vorbeigehen zu, in mir aber regte sich sogleich die Abenteuerlust. Ich versuchte sie zu bezähmen, doch die Aussicht auf eine weitere Nacht im fensterlosen Gang schien mir unerträglich. Die Gelegenheit war günstig, der Großmufti hatte sich bereits früh am Abend zurückgezogen. Nur ganz kurz wollte ich ihr nachschleichen, nur sehen, wohin sie ging, wenn sie ihre Arbeit verrichtet hatte. Wieder blickte ich zurück auf meine Decke und wusste diesmal genau, welche Folgen mein Wagemut haben würde, wenn Fadil, der sicher darauf lauerte, meine Abwesenheit bemerkte. Und doch ging ich nicht zurück, sondern eilte zur Treppe, stieg hinab bis ins Erdgeschoss und hielt nach ihr Ausschau. Ich fand sie nirgends, irrte stattdessen in den weiten Räumen herum. Eine Dame am Empfang begrüßte mich, die Gäste im Foyer blickten stumm auf, wenn ich an ihnen vorbeiging.
    Im Restaurant am Goethe-Garten gab es sogar Musik, ein Mann im Frack spielte vor verhängten Fenstern Klavier, das Licht war gedämpft. Ich setzte mich in einen der weichen Sessel und tat so, als wäre ich ein Gast wie die anderen, obwohl ich mich keine Sekunde lang so fühlte. Ein Kellner kam und ich bestellte eine Tasse Tee. Stolz blickte ich dem Mann nach und gleich darauf in die Runde, jetzt war ich wirklich fast wie diese Leute hier.
    Siedendheiß fiel mir ein, dass ich keinen Pfennig hatte. Ich bekam alles, was ich brauchte, von meinem Herrn, Geld für eigene Ausflüge gehörte nicht dazu. Nervös rutschte ich auf dem Sessel herum und grübelte, was ich sagen sollte, wenn es ans Bezahlen ging. Der Kellner brachte den Tee in einem mit Blumenmuster verzierten Kännchen, füllte die dazu passende Tasse und bemerkte lächelnd:
    »Recht spät für Tee, mein Herr. Hoffentlich werden Sie schlafen können.«
    Bei so viel Höflichkeit bekam ich ein schlechtes Gewissen. Diesmal blickte ich dem Kellner unglücklich nach, erinnerte mich jedoch an einen Film, den ich in Bagdad im Kino gesehen hatte. Da ließ ein Gast ganz selbstverständlich auf das Zimmer anschreiben. Ich wollte ebendas versuchen, denn der bloße Gedanke, mein Herr könnte nachts damit behelligt werden, ließ mich in Schweiß ausbrechen.
    An einem der großen runden Tische nicht weit von mir saßen drei Männer in schwarzen Uniformen. Sie hatten es sich in den Sesseln bequem gemacht, ihre Mützen abgesetzt, die Beine von sich gestreckt und neckten zwei junge Frauen mit dem Rauch ihrer Zigarren. Sie bliesen Wölkchen und Kringel zu ihnen hinüber und jedes Mal wedelten diese sie mit den Händen von sich. Es war ein langwieriges Spiel, begleitet von leisem Lachen wurde es immer wieder aufs Neue begonnen. Ich hörte die Frauen husten, sah sie Servietten vor Mund und Nase halten. In gespielter Empörung beschwerten sie sich, alberten jedoch gleich danach wieder herum, lehnten sich gegen die Männer oder versuchten, ihnen die Zigarren aus den Händen zu reißen. Die Sektgläser auf dem Tisch erzitterten.
    In meinen Augen waren beide Frauen sehr hübsch, doch wagte ich nicht, sie länger anzuschauen. Ihre hellen Gesichter, die tiefroten Münder und die dunkel geschminkten Augen machten sie einander ähnlich und darin lag ein besonderer Reiz: Ihre Schönheit war verdoppelt, zwei Münder sprachen, vier Hände gestikulierten, zogen Aufmerksamkeit auf sich.
    Auf einem leeren Stuhl lag eine der Mützen, der Schirm wies zu mir und ich betrachtete den kleinen, metallisch glänzenden Totenkopf. Dergleichen hatte ich noch nie gesehen und überlegte, was es bedeuten konnte. Eine der Frauen bemerkte es und wies mit dem Kopf zu mir herüber. Die Männer wandten sich um, kniffen die Augen zusammen und musterten mich. Einer nahm einen Zug aus der Zigarre, stieß

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