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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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demütige Schüchternheit wich sofort korrekter Strenge, als er Rasul auf das strikte Rauchverbot hier unten hinwies.
    »Ihrem Volk ist großes Unrecht zugefügt worden.«
    Die Dame lehnte sich in den Sessel zurück und krallte die lackierten Fingernägel in eine winzige Stofftasche auf ihrem Schoß.
    Mein Herr bedankte sich für die Worte der Frau und wies kurz darauf hin, dass auch Deutschland großes Unrecht geschehe, weshalb wir alle ja hier unten versammelt seien. Nach und nach beteiligten sich mehr Leute an unserem Gespräch. Fröhlich buchstabierten sie mir ihre Namen. Doch das Übersetzen wurde immer schwieriger. Nach einiger Zeit ließ ich die Leute reden, pickte ab und an etwas heraus und gab es frei wieder.
    Ich betrachtete diese Deutschen, von denen manche nun darauf bestanden, sich dem Großmufti mit Händedruck vorzustellen: Der steife Herr Mund, der sich als »Honorarkonsul im Ruhestand« bezeichnete, elegant gekleidet und durch seine Brille mit Goldrand arrogant dreinblickend, wirkte hinfällig, sobald er eine ungewohnte Bewegung machen musste. Er klammerte sich an die Armlehnen seines Stuhls, bevor er sich niedersinken ließ, heftige Atemstöße brachten seine Schnurrbarthaare in Bewegung, als wäre er viel älter, als er aussah. Frau Zahlhas, die Dame mit der kleinen Tasche, auffällig bemüht, mithilfe eines Taschentuchs ihren Lippenstiftstrich zu korrigieren, genoss die Blicke der anderen ebenso, wie sie sich unter ihnen wand. Sie trug einen blauen Stoffhut mit durchsichtigen Seidenflügeln, die bei jedem ihrer Worte zitterten. Familie Oberländer mit ihren kaum zu bändigenden Kindern Lenchen und Paul. Die Schnapkes, beide wohlbeleibt und gut gelaunt, ignorierten sie einander nach Kräften.
    Auch einer der Köche war da und wie in der riesigen Küche trug er noch immer seine Schürze. Angeregt unterhielt er sich mit einer zerbrechlich wirkenden älteren Dame, die uns geflissentlich übersah.
    Ich suchte nach dem geheimen Unglück in ihren Gesichtern, bemüht, einen Hinweis zu finden auf das, was sie fühlten, wenn sie allein waren in ihren von zartem Seifenduft durchströmten Suiten mit den verdunkelten Fenstern und dem sahneweißen Deckenstuck. Ich war überzeugt, sie alle wussten etwas, das sie nicht preisgeben wollten.
    Stattdessen erzählten sie amüsante kleine Geschichten. Herr Mund begann damit, erinnerte sich an seine Jugend in Ostpreußen, an die alten Frauen, die zu jedem Fest im Dorf erschienen, um sich beschenken zu lassen oder sich in unbeobachteten Momenten gleich selbst an der Festtafel zu bedienen.
    »Weite Röcke trugen sie, mit Taschen an den Seiten. Das waren ihre Arbeitsröcke. Sie konnten unglaublich viel hineinstopfen, Brot, Fleisch, ganze Würste, Wurstbündel und sogar Einweckgläser.«
    Jetzt hörten auch Lenchen und Paul zu, die einander gerade noch die Finger in die Münder gesteckt hatten, um danach »I, eklig!« zu rufen.
    »Sie waren eben arm«, warf Frau Zahlhas dazwischen. »Was blieb ihnen denn übrig. Ich war auch einmal arm, nur kurz, aber … «
    »Arm? Dass ich nicht lache.« Herr Mund rückte auf dem Sessel herum und schob seine Brille zurecht. »Schmarotzer waren das.«
    »Ich kann auch Brotsuppe«, sagte der Koch weiter hinten zu der Dame, die jedes seiner Worte mit einem Nicken empfing.
    »Mama, sind das Neger?« Frau Oberländer legte Lenchen die Hand auf den Mund, welche diese aber sogleich fortschob.
    »Na, wir Jungs den alten Weibern nach und immer ordentlich Schnaps in die Rocktaschen. Eine Große, Dicke, eine echte Trumba, ist gesprungen wie eine Gazelle, sag ich Ihnen.«
    »Das sind keine Neger«, flüsterte Frau Oberländer und lächelte mir zu. »Schau doch, wie hell ihre Haut ist.«
    »Das ist ganz einfach«, sagte der Koch. »Mein Vater hat es mir beigebracht. Das hat er im letzten Krieg gegessen.«
    »Sie sehen aber komisch aus.«
    Von der Seite bohrte sich Pauls Zeigefinger wieder langsam zwischen Lenchens Lippen.
    »Kindermund tut Wahrheit kund«, sagte Frau Schnapke schweratmend.
    »I, eklig!«, schrie Paul.
    »Misch dich doch nicht ein«, brummte Herr Schnapke, strich sich über den Bauch und machte ein gemütvolles Gesicht dabei.
    »Armsein ist schrecklich, vor allem, wenn man es nicht immer schon war.« Frau Zahlhas blickte bekümmert drein.
    »Ja«, sagte Herr Schnapke unerwartet laut und zeigte seine großen Zähne, »man muss die Marie schon kennen, um sie wirklich zu vermissen.«
    »Ein Esslöffel Suppengrün und eine halbe Zwiebel,

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