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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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war falsch zugeknöpft. Rasch erstattete ich Bericht, der Sekretär war unschlüssig, blickte über die Schulter und trat dann beiseite. Sofort eilte der junge Mann in den Raum. Ich bewunderte ihn für seine Entschlossenheit und erklärte sie mir mit der Livree, die einer Uniform ähnelte.
    Der Großmufti stand am verdunkelten Fenster und starrte darauf als wünschte er hindurchblicken zu können. Er schien in Gedanken versunken, nichts an ihm ließ Aufregung oder gar Angst erkennen. Seine Frau war nirgends zu sehen, die Sekretäre hatten sich in einer Reihe neben der Tür aufgestellt, Fadil kam gerade aus dem Zimmer.
    »Sie können nicht bis hierher kommen.«
    Der Großmufti hatte sich umgewandt, schob die weiten Ärmel des seidenen Bademantels zurück und hob beschwörend die Hände. Spontan übersetzte ich. Der Hoteldiener war in der Mitte des Raumes stehen geblieben und hatte vor Erstaunen den Kopf eingezogen, fast so, als erwarte er nun doch eine Bestrafung für sein allzu forsches Vorgehen.
    »Wie kann es sein, dass sie bis hierher fliegen?« Der Großmufti atmete tief ein. »Ist das Reich so schwach, dass es seine Hauptstadt nicht schützen kann? Ist das möglich? Seine Armeen haben Europa und Russland erobert, sie werden Palästina und ganz Arabien befreien. Und in dieser Stadt hat man Angst vor feindlichen Flugzeugen?«
    Wahrscheinlich, dachte ich, hat er die Situation in Bagdad vor Augen, kurz bevor er die Stadt verlassen musste. Wir alle hofften, diese Art der Bedrohung aus der Luft hinter uns gelassen zu haben und begegneten ihr nun ausgerechnet hier in letzter Zeit immer öfter wieder.
    Der Hoteldiener war verunsichert, blickte sich zu mir um, doch ich senkte den Blick.
    »Sind die Vorschriften«, sagte er leise. »Wir müssen die Gäste in Sicherheit bringen, das ist unsere Pflicht.«
    Der Großmufti machte zwei Schritte auf ihn zu. »Sag mir nur: Ist es Pflicht oder Angst?«
    »’ne Vorsichtsmaßnahme, nichts weiter. Hat mit Angst nix zu tun. Werden sehen, unten sind alle lustig.«
    Das beruhigte meinen Herrn sichtlich. Er rückte seinen Turban zurecht, raffte die weiten Enden des Bademantels zusammen und eilte an dem jungen Mann vorbei in seine Gemächer.
    Erleichtert nahm der Hoteldiener sein Käppi ab und blickte dem Gast nach.
    »Hier hat niemand Angst vor feindlichen Flugzeugen«, sagte er zu uns Übrigen. »Aber die Vorschriften sagen, ganz Deutschland ist luftbedrohtes Gebiet. Da kann man nichts machen. Hat mit Angst nix zu tun.«
    Elsa hatte mir zwar davon erzählt, dennoch war ich überrascht, den Luftschutzraum ausgestattet wie einen Salon vorzufinden. Neben vielen gepolsterten Stühlen gab es schwere Ohrensessel und sogar ein Kanapee. Das Licht unter den Stoffschirmen der herbeigeschafften Stehlampen war angenehm und eine improvisierte Bar versorgte die Gäste auch hier unten mit dem Nötigsten. Wie Verkleidungen für ein schauriges Fest lagen in einer Ecke Gasmasken, Decken und Löschpatschen bereit. Ich ging dem Großmufti und seinem Gefolge voran und das vielstimmige Geplauder verebbte sofort, als ich den niedrigen Raum betrat. Neugierige Blicke verfolgten jeden unserer Schritte, während der Hoteldiener die Gruppe zu den noch freien Stühlen brachte.
    Mein Herr und seine Frau waren befangen, nachdem sie Platz genommen hatten. Sie richteten ihre Blicke zu Boden und wollten alles Weitere schweigend abwarten. Dabei lag keinerlei Feindseligkeit in der Luft. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob der Großmufti nicht doch zu isoliert war in diesem Land, in dem er so unermüdlich tätig war und das ihm so viel bedeutete. Eine ältere, etwas zu stark geschminkte Dame brach das peinliche Schweigen, lehnte sich in ihrem Sessel nach vorn und fragte:
    »Entschuldigung, sind Sie nicht der arabische Prinz, den der Führer empfangen hat? Ich habe Sie in der Wochenschau gesehen.«
    Firas setzte an, doch ich übersetzte schneller, und da hob mein Herr den Kopf und ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Er schob den Turban zurecht und wirkte versöhnt, als er nun nickte und dabei kurz aufmerksam in die Runde schaute.
    »Habe ich es doch gewusst«, fuhr die Dame unbekümmert fort. »Gleich, als ich Sie gesehen habe, wusste ich: Diesen Mann kenne ich.« Sie lächelte und blickte sich stolz um.
    Alle Augen richteten sich auf den Großmufti, der nach ein paar Sekunden beschwichtigend die Hände hob. Ein Hoteldiener, noch jünger, aber ebenso blond wie jener, der uns hergebracht hatte, bot Getränke an. Seine fast

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