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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Reichstag waren kaum auszumachen, das Brandenburger Tor ragte düster auf vor der schwarzen Masse des Tiergartens, ein Radfahrer mit einer Holzleiter auf der Schulter schlingerte gerade hindurch. Vom Park wehte Rauchgeruch herüber. Ich blickte die Wilhelmstraße entlang, versuchte etwas zu erkennen von der Neuen Reichskanzlei, wo vielleicht gerade jetzt noch, schlaflos und sorgenvoll, der Führer arbeitete.
    Da lösten sich zwei Gestalten, in der Farbe zuvor ununterscheidbar von ihr, plötzlich wie Asseln aus der Hauswand gegenüber, und blitzartig ging ich in Deckung, unterdrückte das Keuchen und fühlte meinen Herzschlag hinter den Augen. Jetzt erst wurde mir klar, was es bedeuten würde, wenn man mich auf diesem Dach entdeckte. Ich rührte mich nicht. Wusste der Führer, dass die Stadt, in der er residierte, eine, wenn auch wohlorganisierte, Hauptstadt der Angst war? Was sah er, wenn er keine Lichter um sich erkennen konnte? Oder brauchte man hier nur Zimmer voller Landkarten und Bücher, um die Welt zu erobern?
    Mit zitternden Fingern suchte ich nach dem Brief, fand ihn und faltete das Papier auseinander, nur um festzustellen, dass es zum Lesen viel zu dunkel war. Vorsichtig kletterte ich zurück.
    Ich war noch nicht weit gekommen, als ich die Stimme Abu Hashims vernahm. Das Fenster der Suite stand wohl offen, ich wollte zunächst sehr vorsichtig weiterklettern. Dann aber bannte mich, was ich hörte.
    »Ich habe lange darüber nachgedacht«, sagte der Sekretär und seine Stimme klang belegt, als fiele es ihm schwer zu sprechen. »Dieser neue Sitz des Führers, die Neue Reichskanzlei, ist ein Bau des Teufels.«
    »Was meinst du damit«, fragte Haddad. »Immer redest du in Andeutungen.«
    Beide Männer sprachen leise, so dass ich annahm, sie waren allein im Raum und wollten vom Großmufti nicht gehört werden.
    »Erinnerst du dich, was sie uns über den Bau erzählten?«
    »Was meinst du?«
    »Sie haben ihn in einem Jahr errichtet, haben die alten Häuser abgerissen, das riesige neue gebaut und vollständig eingerichtet mit Marmorhallen, Wandschmuck, Bibliothek, verzierten Möbeln und Vasen, Geschirr und sogar Schreibgerät – mit allem. In einem Jahr. Das ist nicht gut.«
    »Ich verstehe dich nicht.«
    »Und was ist es geworden: Eine Folge von verschiedenen Räumen. Man geht und geht und jeder Saal ist anders, am Ende weiß man nicht mehr, wo man ist. Verstehst du, sie bauen zwar, aber so, als wären sie immer in Eile.«
    »Das ist die moderne Zeit, die Technik … «
    »Nein, genau so führen sie auch ihren Krieg. Es ist, ja, es ist eine Raserei. Und wir müssen daran denken … «
    »Woran?«
    »Sie könnten verlieren. Vielleicht wissen sie es längst und vielleicht ist das der Grund für ihre Hast. Sie reden ständig von all dem, was noch kommen wird, aber möglicherweise haben sie einfach keine Zukunft, auf die sie vertrauen könnten. Wir müssen darauf vorbereitet sein, meine ich.«
    Eine Minute lang herrschte Stille, bis die Stimme des Großmuftis erklang. Er hatte, wie er es oft tat, die beiden Sekretäre miteinander sprechen lassen, um dabei seine Gedanken zu sammeln. Seine Anwesenheit bei diesem Gespräch versetzte mir einen Stich.
    »Abu Hashim hat recht«, sagte er und vor Schreck schnaufte ich leise. »Wir sind in der Fremde und wir müssen die Zeichen deuten. Jeder spielt sein Spiel, Haddad, auch sie.«
    »Was sind wir ihnen noch wert, wenn sie untergehen?«, sagte Abu Hashim.
    »Was also sollen wir tun?«, fragte Haddad verzweifelt. »Das Land verlassen?«
    »Noch ist es nicht so weit«, sagte der Großmufti besänftigend. »Wir sollten Treue beweisen.« Er ließ eine Pause entstehen und fügte schließlich an: »Ich hörte oft sagen, die Schweiz sei ein schönes Land.«
    Nach diesen Worten kehrte Stille ein, ich wartete noch eine Weile, bis ich weiterkletterte. Was ich gehört hatte, ließ mir keine Ruhe; Abu Hashim hatte etwas ausgesprochen, wovor alle sich fürchteten, auch ich. Dafür hasste ich ihn – und doch wog das Gesagte gerade darum so schwer, weil es aus seinem Mund kam. Als ich unten in den Hof hinabsprang, sah ich mich ins Nichts fallen, um mich greifend, ohne irgendwo Halt zu finden.
    Endlich, auf der Türschwelle liegend, hob ich den Brief dicht vor die Augen, um den Schriftzügen so nahe wie möglich zu sein. Es war ein kurzer Brief:
    Ezra sagt, ich soll es nicht tun, weil du jetzt ein anderer bist, doch ich schreibe meinem Retter weiterhin. Man erzählt sich, du seist in

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