Ein weißes Land
mochte.
An diesem Nachmittag beschäftigten wir uns mit dem Unterschied zwischen Konjunkturjuden , Finanzjuden und Ghettojuden , mit der bestürzenden Fähigkeit dieser Rasse, sich zu verstellen und in immer neuen Verkleidungen aufzutauchen.
Wenn ich Fadil auch hasste, so bewunderte ich inwischen doch seinen Scharfsinn, der sich trotz aller Trägheit bei verschiedenen Gelegenheiten zeigte. So strich er sich diesmal über sein Doppelkinn, schob das Buch von sich und fragte:
»Wie können all diese verschiedenen Menschen das Gleiche wollen?«
Ich verstand ihn gut, denn für uns als Araber ist es schwer vorstellbar, dass auch nur zwei Menschen dasselbe wollen könnten.
Abu Hashim dachte nach, er tat sich schwer damit, diese Frage zu beantworten.
»Es liegt in ihrem Wesen «, sagte er schließlich und benutzte das deutsche Wort.
Fadil ließ sich nicht beirren, er wollte Klarheit. So, wie er mit den Augen alles Fremde an sich zog, so gierte auch sein Geist danach, es sich einzuverleiben.
»Ich verstehe es nicht«, sagte er. »Sie müssten einander kennen, um alle einen Plan zu verfolgen.«
Abu Hashim war in arger Bedrängnis. Er wusste es, legte die Hände auf die Wangen und schnaufte. Nach ein paar Sekunden der Stille sagte er entschieden:
»Du solltest nicht nach den Gründen fragen. Viel wichtiger ist es, auf das zu sehen, was sie in der Wirklichkeit tun. Schau dich um, dann begreifst du, was sie vorhaben. Oder glaubst du, Deutschland führt diesen Krieg ohne Grund?«
Deutlich sah ich in Fadils Gesicht, dass seine Zweifel keineswegs zerstreut waren. Doch er wagte nicht, weiterzufragen, sackte stattdessen in die Lehne des Stuhls zurück und senkte den Kopf.
Trotz der vielen politischen Aufgaben, seiner Reisen, Radioansprachen und Begegnungen – mal unterhielt er sich einen Nachmittag lang mit Canaris auf Französisch, dann wieder besuchten ihn der Reichsaußenminister oder Imame aus dem ganzen Reich – war mein Herr unermüdlich. Nie sah ich ihn ruhen, immer arbeitete er, war von Menschen umgeben, die ihn umkreisten wie die Planeten die Sonne.
Auch seinen religiösen Pflichten kam er nach. So besuchten wir kurz nach seiner Rückkehr aus Rom die kleine Moschee der islamischen Ahmadiyya-Gemeinde in Wilmersdorf zum Freitagsgebet. Der Imam dort war ein bescheidener, höflicher Mann, der dem Großmufti mit Wärme entgegentrat. Fast war es, als begegneten sich zwei Schicksalsgenossen fern der Heimat, die nicht viele Worte machen mussten, um einander zu verstehen.
Doch Haddad hatte uns zuvor gewarnt: Nach seinen Worten war dies eine Gemeinde von Außenseitern, wenn nicht Häretikern. Sie zweifelten daran, dass Mohammed, der Friede sei mit ihm, das Siegel der Propheten, also der Letzte von allen und somit der Vollender des Glaubens war. Nach ursprünglicher Auffassung der Ahmadiyya hatte ihr Stifter die Reihe der Propheten fortgesetzt. Er kam aus Nordindien und verstand sich als Wiedergeburt von Jesus, Krishna und Ahura Mazda, zugleich aber glaubte er auch, ein Mahdi zu sein. Seine Anhänger hier in Berlin sahen in ihm einen Reformator des Islam, doch, gab Haddad streng zu bedenken, das ändere nichts daran, dass sie Sektierer seien.
Die Freitagspredigt verlief dennoch harmonisch. Die Gläubigen strömten in so großer Zahl herbei, dass der kleine Gebetsraum sie kaum fassen konnte. Gegen die abendliche Kälte war ein Heizstrahler aufgestellt worden. Dicht an dicht kauerten wir zu Füßen meines Herrn und lauschten seinen Worten, aus denen jetzt, ganz anders als bei seinen politischen Verlautbarungen, Schmerz und schwärmerische Leidenschaft sprachen. Erst als er die Suren zitierte, die von den Juden als »Affen und Schweine« handelten, veränderte sich sein Ton; kurz musste er innehalten und strich sich über den roten Bart.
Ein zustimmendes Raunen ging durch die Menge, und der Großmufti ließ eine Pause entstehen, bevor er uns alle davor warnte zu glauben, der Sieg sei sicher, das Ziel erreicht. Vielmehr, so hörte ich ihn zum ersten Mal sagen, beginne der Kampf gerade erst und er werde nicht leicht sein. Er schaute zur Kuppel des Gebetsraums hinauf, als suche er dort oben die Bedrohung, er rang die Hände und richtete seinen stechenden Blick wieder auf uns, jeder Einzelne spürte ihn und ein leises Seufzen erhob sich.
Der Imam wohnte in einem dem islamischen Baustil nachempfundenen Nebengebäude der Moschee, wo er den Großmufti und uns nach Predigt und Gebet bewirtete. Ein solcher Abend rief in mir
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