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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Deutschland bei deinem neuen Herren, diesem rothaarigen Prediger, der uns das Leben hier so schwer gemacht hat. Ich kann es nicht glauben, aber weiß doch auch, wen du in unser Haus gebracht hast. Und die Türen und Fenster konnten wir nie mehr ganz verschließen. Es ist wieder ruhig geworden in Bagdad, ganz so, als wäre nie etwas geschehen. Aber nichts ist mehr, wie es war. Baba hat, wie alle Juden, noch mehr Angst, wenn er aus dem Haus geht. Ich kann es sehen, wenn er sich im Garten noch einmal umdreht wie zum Abschied. Bataween ist friedlich wie immer, aber nicht mehr so, wie ich es kannte. Ich glaube, meine Jugend ist vorbei. Ich habe festgestellt, dass ich krumme Beine bekomme. Nana sagt, es stimmt nicht. Aber ich glaube, der Einäugige damals hat sie mir angehext mit seiner schmutzigen Hand. Manchmal schaue ich am kleinen Fenster nach, ob du nicht wieder emporgeklettert kommst.
    Bleibe, der du warst, das wünsche ich dir.
    Mirjam
    Ich versuchte mich an ihre Beine zu erinnern, doch es wollte sich kein Bild ergeben. Hatte ich ihre Beine überhaupt gesehen? Noch einmal kletterte ich in Gedanken die Hauswand hinauf und blickte durch das schmale Fenster. Wieder stand Mirjam fast nackt im Raum, doch ich starrte nur auf ihre Schultern und ihren Hals. Sie hat bestimmt keine krummen Beine, sagte ich mir, Menschen wie sie sind gerade und schön. Gern hätte ich jetzt an ihr hinabgeschaut, ihr gesagt, sie solle sich zu mir wenden, aber die Erinnerung ließ es nicht zu. So, wie es geschehen war, würde es für alle Zeit bleiben, ich konnte den Blick nicht senken, konnte nicht zu ihr sprechen und sie konnte mich nicht ansehen: Beide waren wir gefangen.
    Das Licht im Gang flackerte leicht und Mirjams Worte über Bataween ließen mich erschauern. Ich las sie wieder und wieder und wünschte, sie hätte mehr darüber geschrieben, hätte mir jede Einzelheit mitgeteilt, den Gesang der Vögel beschrieben, das Geräusch des Windes in den Bäumen oder auch nur das langsam auf den Steinen wandernde Sonnenlicht. Wie gern hätte ich alles über einen beliebigen Augenblick dort erfahren; ich starrte auf Mirjams ungleichmäßige Schrift, wollte, dass die breiten Striche Brücken würden zu jenem fernen Ort, doch alles, was ich sah, war Tinte und Papier.

7.
    I m Spätsommer begab sich der Großmufti mit Bakr und seinem Buchhalter Rasul auf eine längere Reise nach Rom. Zusammen mit Oberst Rashid Ali, über dessen zügellose Machtambitionen er sich vor allen Sekretären bitter beklagte, wollte er dort Schritte unternehmen, um den ägyptischen König Faruk vor den Engländern zu retten, die ihn angesichts ihrer unmittelbar bevorstehenden Niederlage in Nordafrika ganz sicher töten wollten, um der arabischen Freiheitsbewegung noch einen letzten, heimtückischen Schlag zu versetzen.
    Abu Hashim blieb in Berlin und hatte nun öfter Zeit für unsere Lektionen. Da ich längst sicher war, dass mich ihr Brief nur durch ihn erreicht hatte, wagte ich sogar, ihn zu fragen, ob es möglich sei, Mirjam zu antworten. Das stürzte ihn in einen Konflikt, was auch Fadil sofort bemerkte.
    »Du bist ein Judenfreund«, zischte er mich an. »Das warst du schon in Bagdad, ich weiß es. Warum kannst du nicht damit aufhören? Frage ich je solche Dinge?«
    Er schien mir so grenzenlos dumm und unerfahren in diesem Moment, dabei aber doch wieder so selbstbewusst, dass ich sagte:
    »Wem könntest du schon schreiben? Deinem Vater vielleicht, dann sag ihm aber auch, dass du hier kein Mann geworden bist, sondern auf dem Boden herumkriechst und die Zimmer wischst.«
    Fadil war nahe daran, mir an den Hals zu springen, seine Hände umklammerten die Tischkante.
    »Warum entscheidest du dich nicht endlich für eine Seite, damit man dir trauen kann?«
    Abu Hashim ging dazwischen. Er hatte sich besonnen, trommelte mit den Fingern auf den Büchern und fragte mich:
    »Du weißt, wie selten wir Briefe senden können. Es gibt nur wenige Reisende, die sie mitnehmen könnten. Ist dir das so wichtig? Und wieso willst du es? Gibt es irgendetwas, das du diesen Leuten mitteilen willst? Wir sind Feinde, vergiss das nicht.«
    Ich hatte nie darüber nachgedacht, was diese Feindschaft für mein kleines Leben bedeutete.
    »Gibt es nicht auch Dinge, die nicht politisch sind?«, fragte ich den Sekretär.
    Abu Hashim zögerte kurz, blinzelte und räusperte sich, bevor er sagte:
    »Nein.«
    Mir schien, er wusste, dass er nicht die Wahrheit sagte, doch ich fragte nicht weiter, weil ich ihn

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