Ein weißes Land
hier herrschte nur Armut und, was es in meinen Augen endgültig unerträglich machte, eine Kälte, die sie ebenso wie die Toten konservierte.
Und eben weil wir unseren Gegner selten sahen, gingen wir in diese Dörfer und vernichteten sie. Trafen wir Leute an, so war es um sie geschehen; mit der Zeit zimmerten wir keine Galgen mehr. Bevor wir abzogen, sollte das Land wüst und leer sein, doch das wurde es mehr und mehr auch für uns.
Einmal traf unser Trupp auf einen anderen, der gerade eliminiert hatte. Eine Hütte stand noch und aus ihr ertönten Schreie einer Frau. Die Kameraden bildeten vor dem Eingang eine Schlange und verrenkten sich die Hälse, um hineinzuschauen. Wir gingen hinüber und stellten uns dazu. Sie hatten eine junge Frau gefunden, kaum zwanzig, hatten sie gefesselt und vergewaltigten sie nun der Reihe nach. Alle antrainierte Disziplin schwand in Situationen wie dieser. Ein MG -Schütze, der sein Gesicht mit Erde beschmiert hatte und wild dreinschaute, packte meinen Arm und riss mich in die Hütte, Fadil drängte hinterher.
»Steht nicht da und glotzt«, sagte der Mann und hielt mich dabei noch immer fest. »Macht mit oder geht.«
Einer der Kameraden war gerade fertig geworden und hatte sich erhoben. Ich sah das Mädchen regungslos daliegen, ihre Schreie waren verstummt und ihr Blick war zur Decke gerichtet, das Weiße ihrer Augen schimmerte in der Dunkelheit wie bei einem ängstlichen Kalb. Ich betrachtete die Stelle zwischen ihren Beinen, dann ergriff ich die Hand des MG -Schützen und presste sie gerade stark genug zusammen, dass ihm der Atem stockte.
»Ich stecke meinen Schwanz nicht in etwas Blutiges«, sagte ich. »Meine Religion verbietet das.«
»Ach so, na, dann kann man nichts machen«, zischte der Mann gequält und mit hasserfülltem Blick.
Ich stieß Fadil voran und verließ mit ihm die Hütte. Später, auf dem Weg zum Feldlager hörten wir zwei Schüsse. Fadil war unzufrieden mit meiner Entscheidung.
»Warum lässt du mich nicht in Ruhe«, jammerte er. »Ich bin ein Mann wie du, lass mich selbst entscheiden.«
Es war verführerisch, so frei zu sein wie hier, klein in der gleichgültigen Weite, unter einem niedrigen Himmel, der uns zu verhüllen schien, alles tun zu dürfen, ohne eine Strafe fürchten zu müssen. Und doch war ich besessen von dem Gedanken, Abstand von allen zu halten, im Hintergrund zu bleiben. Es schien mir, unser Leben hinge daran.
»Dein Vater hätte es nicht gewollt«, sagte ich und war mir dessen nicht sehr sicher.
5.
A nstatt einer Weihnachtsfeier sollte es im Lazarett einen »Bun-
ten Abend« geben. Zu diesem Zweck wurde in der alten Aula aus Tischen eine improvisierte Bühne aufgebaut. Die Krankenschwestern nähten aus Betttüchern einen Vorhang zusammen und meine Skatbrüder, Willy und Hugo, bereiteten eine Szene vor, eine Parodie des Frontlebens aus Sicht der einfachen Soldaten. Auch ich bekam darin eine Rolle, musste das unsichtbare Pferdefuhrwerk lenken und ab und an »Jawohl!« und »Wird gemacht!« rufen.
Später klärte mich Hugo noch darüber auf, dass es sich um ein von den Russen erbeutetes Fuhrwerk handeln musste, und ich fragte, wie ich das darstellen sollte.
»Na, du wackelst eben mehr herum, verstehst du?«
Er war von seiner Aufgabe so begeistert, dass er an nichts anderes mehr dachte und Willy und mich herumkommandierte, als wären wir wirklich noch an der Front.
»Ich will, dass es gut wird«, pflegte er zu sagen, »sonst können wir uns das alles auch sparen. Die Leute müssen lachen und verstehen, was wir sagen wollen.«
»Wir sind hier aber nicht im Volkstheater«, wandte Willy ein. »Dein Publikum besteht aus Halbtoten und Erschöpften.«
»Wart nur ab, die werden schon wach.«
Ich hätte nicht erwartet, dass ausgerechnet er sich solche Mühe geben würde, seine Geschichte auf der Bühne zu erzählen. Ich beobachtete ihn, während er die Dramaturgie des kleinen Bühnenstückes entwarf und immer wieder umschrieb, vorsichtig an seinem Bleistiftstummel kauend und wie ein Dichter grübelnd.
Die kleine Szene sollte davon handeln, wie ein versprengter Haufen versuchte, sich zu irgendeinem Truppenteil durchzuschlagen. Wir nahmen noch zwei Männer dazu, die nicht viel mehr zu tun hatten, als auf der Bühne zu sitzen. Die Hauptrolle spielte natürlich Hugo, er hatte auch den meisten Text, in dem er die Landschaft beschrieb, Befehle gab und ein paar derbe Witze machte. Irgendwann sollten wir auf getötete Kameraden stoßen, um uns
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