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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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nur von fern, dafür umso mehr Galgen, an denen, durch Schilder kenntlich gemacht, Juden und Partisanen hingen, oder, wie Untersturmführer Reger sagte: »lange Hälse machten«. Sie baumelten an Bäumen und von Balkonen herab, von Laternen und Toreinfahrten, Menschen in Mänteln, Anzügen und Röcken. Manche der älteren Männer trugen sogar noch ihre Hüte, als wären sie aus einer belebten Straße herausgegriffen, emporgehoben und in den traurigen Schatten gehängt worden, der auf ihren abwärts weisenden Gesichtern lag. Nichts an ihnen wirkte gefährlich und doch, so wurde immer wieder gesagt, lauerte die Gefahr überall. Gerüchte gingen um von enthaupteten deutschen Soldaten, ihren entlang der Wege aufgespießten Köpfen, von der ungeheuerlichen Grausamkeit der Partisanen. Auch das war ein Grund für die vielen Gräber, an denen wir auf den feuchten Ebenen vorüberkamen, dunkle, aufgelockerte Flecken in der Erde, welche an diesen Stellen, obwohl längst festgestampft, weich und bucklig war und nachgab, als wollte sie die über sie Gehenden hinabziehen und sehen lassen, wie viele wir beerdigt hatten.
    Wir jagten die Waldarmeen und drangen dazu in die entlegensten Ortschaften, in dichtestes Gestrüpp und in erstarrte Moore ein, die aussahen wie Mondlandschaften. Diese Bandengebiete waren durch Holzschilder gekennzeichnet, auf denen schwarze Totenköpfe vor der Gefahr warnten. Doch kaum einmal gelang es uns, unseren Gegner zu stellen. Geschickt vermieden die Partisanen jede Begegnung. Manchmal gerieten wir in Hinterhalte, aber es kam nur zu kurzen Feuergefechten, dann hatten sich die Waldmenschen in Luft aufgelöst. Am meisten fürchteten wir die Scharfschützen. Zum Glück aber waren die Partisanen im Allgemeinen so schlecht bewaffnet, dass auch sie nur selten auftauchten. Was auch geschah, Gefangene machten wir nie.
    Einmal näherten wir uns nachts dem Unterholz. An einem Baum war ein verdächtiger Holzhaufen aufgeschichtet, allerdings so offensichtlich, dass wir gewarnt waren. Wir schossen hinein und nichts geschah, wir inspizierten ihn ohne Ergebnis und warfen schließlich eine Handgranate, die aber ihr Ziel verfehlte. Unter dem Holz kam ein furchterregendes, eisernes Gebiss zum Vorschein, ein schweres Fangeisen, trotz der Granate aufgesperrt.
    »Bärenfalle«, sagte ein Kamerad. »Muss eingefroren sein.«
    Er ging hinüber und schlug mit dem Gewehrkolben auf das Kiefergelenk. Krachend schlossen sich die Zähne und die Sprengfalle oben im Baum explodierte, ein Hagel von Nägeln und Eisensplittern tötete unseren Mann. Wir überlebten nur, weil wir in Deckung geblieben waren. Die Waldmenschen hatten alles bedacht, selbst unsere Neugier, und das eiserne Gebiss grinste dazu.
    Regelmäßig stießen wir auf ihre eilig verlassenen Verstecke, enge, in der gefrorenen Erde eiskalte Bunker, die mit einer hölzernen Luke zu verschließen waren. Für uns war es erstaunlich zu sehen, wie erbärmlich die Partisanen hausten. In ihren Erdlöchern gab es Kastenöfen und Schlaflager aus stinkenden Kartoffelsäcken, einmal fanden wir ein Koffergrammophon und ein paar Schallplatten, dann wieder ein Akkordeon und umherliegende Briefe, die wir leider nicht lesen konnten. Fadil hob das Foto einer jungen Frau auf. Sie lehnte sich gegen einen blühenden Baum und lächelte unsicher, mit der Linken strich sie sich das Haar übers Ohr. Es musste eine Russin sein, doch sie sah so ganz anders aus als die Bäuerinnen hier auf dem Land. Ihre zarten Hände und die helle Bluse ließen sie eher wie eine Studentin wirken. Wir betrachteten sie aufmerksam und ließen das Foto von einem zum anderen gehen, und plötzlich schien uns der Anblick des schmutzigen Kochgeschirrs, der verbogenen Löffel, der Kerzenstummel und leeren Wodkaflaschen vertraut. So abstoßend die in der dunklen Erde wie Gräber wirkenden Behausungen der Partisanen auch waren, so beherbergten sie doch Menschen. Wir suchten sorgfältig nach Werkzeugen, die sie für ihre Sabotageakte an den Gleisen und Funkstationen benutzten. Am Ende setzten wir die Bunker in Brand.
    Jede unserer Erkundungsmissionen war zugleich furchterregend und abenteuerlich. Mondlose Nächte in diesem Land waren dunkel wie der Tod, nur der knirschende Schnee unter den Sohlen wies uns den Weg die Hügel hinauf und wieder hinab. Aus der Ferne sahen wir elende kleine Dörfer, in denen die Leute außer ein paar Hühnern vielleicht noch eine Kuh besaßen. Nicht einmal die Fensterläden ihrer Katen waren verziert,

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