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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sodann als Russen zu verkleiden. So erreichten wir ein Partisanenlager und mischten uns unter den Feind, verwandelten uns in ihn und spielten nun Russen. Das konnte Hugo sehr gut, er liebte es, mit russischem Akzent zu sprechen, einzelne Brocken der fremden Sprache hervorzustoßen und den tapsigen Gang der vermummten Gestalten nachzuahmen. Wahrscheinlich war das der eigentliche Grund für seinen Eifer. Wir nahmen Rache, wurden enttarnt, mussten rasch wieder die Identität wechseln und die Feinde besiegen.
    Hugo war nicht in meiner Einheit gewesen, und ich fragte ihn nie danach, ob er sich das nur ausgedacht hatte; mir zumindest kam es sehr vertraut vor. Die wenn auch improvisierte Theaterstimmung änderte alles. Ich hatte noch nie auf einer Bühne gestanden, nicht einmal eine gesehen. Alles, was ich kannte, war das Kino mit seinen Gestalten aus Licht. Hier aber waren wir die Gestalten, auf die alle Blicke sich richteten; ich musste ein anderer sein wie zuletzt vielleicht als Kind beim Spielen. Durch meinen Kopfverband empfing man mich mit Gelächter und Pfiffen. Doch ich stand ganz im Bann des verdunkelten Raumes und des auf uns gerichteten Lampenlichtes. Die Schwestern und ihre Helfer hatten für alles gesorgt, sogar das Gestänge mit dem Vorhang war gerade hoch genug, um uns auftreten zu lassen wie echte Schauspieler. Von hinten sah man hässliche dunkle Flecken auf dem Stoff, der von vorn ganz sicher sauber erschien.
    Auch wenn wir erst spät dran waren, hatten wir ein noch immer aufmerksames Publikum, das von den Darbietungen nicht genug bekommen konnte. Nach reichlich Schnaps, Männern in Frauenkleidern, halbnackten Hanswürsten und gemeinsam gesungenen, endlos wiederholten Liedern, die außer mir jeder im Raum kannte, war von einem Weihnachtsabend, wie ich ihn aus dem Hotel und auch von der Front kannte, nicht mehr viel übrig. Der Vorhang öffnete sich und wir standen in den durch das elektrische Licht ziehenden Rauchschwaden, sahen die ersten Reihen von sitzenden und liegenden Kameraden und breiteten die Arme aus. Applaus und Gejohle trieben uns auf unsere Positionen, ich setzte mich seitlich zum Publikum auf einen Stuhl und begann wild herumzuschaukeln, hielt die unsichtbaren Zügel hoch und peitschte meine Pferde voran. Hinter mir saßen Willy und Hugo und unterhielten sich. Ein Kamerad schloss sodann kurz den Vorhang, damit sich die anderen, in ihren deutschen Uniformen, als Tote auf die Bühne legen konnten. Zum Entsetzen des Publikums hatte sich jeder, Hugos Anweisung folgend, Scheiben Roter Bete auf die Augen gelegt. Er ließ dem Effekt kaum Zeit zu wirken.
    »Das haben sie getan«, deklamierte er. »Das waren die Partisanen in den Weiten Russlands. Seht, sie haben den Kameraden die Augen ausgestochen und sie am Wege liegen lassen.«
    »Oh weh, das sind ja Tiere«, krähte Willy dazu.
    Hugos Schlag traf mich an der Schulter. »Beeil dich, verwundeter Kamerad, damit sie nicht auch noch uns erwischen.«
    Immer, wenn es um mich ging, lachte das Publikum, in mir glaubte es den Clown der Truppe zu erkennen. Doch das hatte Hugo nicht vorbereitet, es fiel ihm erst jetzt auf und so stieß er mich nun jedes Mal an, wenn er die Leute amüsieren wollte. Es geschah wieder, als Willy und er bereits aufgestanden waren, was ich durch den Verband nicht bemerkt hatte.
    »Wir sind übrigens da, Kamerad«, sagte er.
    Dröhnendes Gelächter ertönte, bevor sich der Vorhang wieder schloss. Die Männer nahmen die Gemüsescheiben von den Augen und erhoben sich rasch. Wir alle warfen uns die bereitgelegten Lumpen über und zogen die Tische einen Spalt weit auseinander, in den sich unsere Komparsen knieten, so dass nicht viel mehr als ihre Köpfe aus dem Bühnenboden ragten. Einer Eingebung folgend ließ Hugo sie wieder ihre Rote-Bete-Scheiben tragen.
    Der Vorhang öffnete sich, das Publikum hatte sich kaum beruhigt, und als es uns nun in unseren Lumpen sah, brüllte es noch lauter. Es war nicht auszumachen, ob aus Freude oder Zorn, jedenfalls hörte niemand mehr auf das, was Hugo und Willy zu sagen hatten, alle konzentrierten sich ganz auf mich, der die Aufgabe hatte, mit einem Besen als Gewehr Rache zu nehmen.
    Bei jedem meiner Schritte gab das Publikum ein Geräusch von sich, daher zog ich es in die Länge und schwankte dabei wie ein Bär. Dick eingepackt, wie ich war, konnte ich den Besen kaum vor mich halten, doch als Hugo nach endlosen Minuten endlich so weit war und mir den Befehl gab, tat ich es, wie ich es konnte:

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