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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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war.
    Dirlewanger schritt vor uns auf und ab, eine schmale Gestalt in schwarzem Ledermantel, die Hände hinter dem Rücken. Sein großer Kopf mit dem eingefallenen Gesicht schien erstarrt, er bewegte sich nur, wenn er uns den schmalen Oberkörper zuwandte. Dann aber war er furchteinflößend, ein Mann von kaum fünfzig Jahren mit der ledrigen Haut eines Greises und dunklen, blutunterlaufenen Augen. Ein Trinker, das erkannte ich gleich, und es beruhigte mich nicht.
    »Alle Bewohner der Stadt wurden aufgefordert, diese Bezirke hier zu verlassen. Wer jetzt noch da ist, ist ein Partisan und wird entsprechend behandelt.« Dirlewanger warf einen durchdringenden Blick auf die Männer in der ersten Reihe. »Merkt euch jeden Straßennamen«, fuhr er fort. »Das ist eine Stadt und wir jagen keine Muschiks mehr. Hier erwarte ich vollen Einsatz. Wir werden denen«, er hob den Daumen und wies hinter sich, »zeigen, wie man das macht.« Geblendet vom einfallenden Sonnenlicht kniff er die Augen zusammen. »Es wird heiß werden, macht euch darauf gefasst. Morgen früh gibt es Wodka.«
    Danach sprach er noch vom Magdeburgisieren und von den Kosaken, denen wir nicht in die Quere kommen sollten; außerdem warnte er uns vor speziellen Waffen der Aufständischen, wie etwa dem PIAT , dem englischen Gegenstück zur Panzerfaust. Doch das waren Dinge, die mich nicht interessierten. Schließlich trat er an einen seiner Männer heran und fragte ihn:
    »Und, was war da noch?«
    »Keine Gefangenen, Standartenführer.«
    Quartier gemacht wurde in feuchten, schmutzigen Schuppen auf dem Fabrikgelände. Es sei nur für eine Nacht, beruhigte uns der neue Unterscharführer Schwenke. Zusammen mit Schneck teilte er unsere Einheit noch am Abend auf. Fadil und ich kamen zu jenen, die man als Stoßtrupps bezeichnete. Wir wurden mit Gewehr und Seitengewehr, Handgranaten und Dolchen ausgerüstet.
    »Es geht um die Keller«, sagte Schneck. »Es gibt unter der Stadt ein ganzes System von Tunneln und miteinander verbundenen Räumen. Die ganze verdammte Rebellenregierung der Polen ist dort unten zusammen mit ihrer Heimatarmee . Und wir holen sie da raus. Es muss schnell gehen, denn, einige werden es schon bemerkt haben, der Russe steht am anderen Weichselufer. Ein Raum nach dem anderen, und egal, wer drin ist, kurzer Prozess, versteht ihr?«
    Schweigen antwortete ihm.
    »Noch mal, Männer: Egal, wer drin ist. Befehl von ganz oben. Wir sind hier, um aufzuräumen, bevor noch Schlimmeres passiert. Hinter diesen Banditen steht kein anderer als die verdammten Engländer, wundert euch also nicht, wenn hin und wieder Versorgungsfallschirme herunterkommen.«
    Danach gab es noch langwierige Erklärungen über die Route, die jeder einzelne Zug zu nehmen hatte, über Geländegegebenheiten und die Schnapsration.
    »Noch Fragen?«
    »Wer sind die Kosaken?«, sagte Fadil.
    »Kaminskis Leute, übergelaufene Russen, üble Gesellen. Sie werden von Süden in die Stadt kommen, über den Eisenbahn-Viadukt – und dann hinein ins Vergnügen. Ist das alles?«
    Wieder herrschte Schweigen.
    Am nächsten Tag bekam jeder von uns eine großzügige Wodka-Ration. Über die Gleisanlagen drangen wir in die Stadt ein und kamen sofort unter heftigen, wenn auch nicht sehr präzisen Beschuss. Stellenweise prasselten die Kugeln auf uns nieder, als würde hinter jedem Fenster und auf jedem Dach ein Schütze sitzen. Dann wieder wurde es still; dicht an den Hausmauern entlang zogen wir nordwärts. Viele der Wohnhäuser wirkten noch intakt, es war nicht klar, ob die Bewohner sich in ihnen versteckt oder das Viertel bereits verlassen hatten. Es war der vierte Tag des Aufstandes und in vielen Seitenstraßen stießen wir auf Barrikaden aus Tischen, Stühlen, Matratzen und Hausrat jeder Art. Nicht immer saßen Aufständische dahinter und doch mussten wir sie alle überprüfen. Fadil hielt sich hinter mir, die Kugeln pfiffen uns um die Ohren, und wenn sie in die Fassaden einschlugen, sank ein heller Staubnebel auf uns herab.
    An einer Hofeinfahrt machten wir halt und Papa Schneck rief die Stoßtruppen zu sich. Er schickte uns zu den Kellereingängen, doch zuvor mussten wir eine der Barrikaden überwinden, die, wie wir sehen sollten, in beinahe jedem Hof errichtet worden waren. Unter Feuerschutz stürmten wir durch den Tunnel und hielten nicht an, bevor wir am Fuße des Walls lagen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich Fadil und er klatschte mir zur Antwort zweimal auf den Stiefelschaft.
    Wir entsicherten

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