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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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flackernder Schein ließ all die Gesichter mit den aufgerissenen Mündern unheimlich wirken.
    Dirlewanger stieß einen halbnackten Mann vor sich her, der ein aus Deckenbalken gezimmertes Kreuz tragen musste. Er präsentierte ihn den Leuten, ließ ihn sich drehen, damit alle das Schild lesen konnten, das an seinem Schwanz befestigt war. »Pomogl, ale niewlasciwym osobom«, stand dort und auf Deutsch darunter: »Ich habe geholfen, aber den Falschen!« Jetzt erst erkannte ich auf seinem Kopf die Dornenkrone aus Stacheldraht. Der Mann schwankte.
    »Was tun sie?«, fragte Fadil.
    »Es hat mit ihrer Religion zu tun«, sagte ich. »Der Mann am Kreuz.«
    Farhad legte die Unterarme übereinander und ich nickte.
    »Ein Arzt aus dem Hospital«, sagte Hans.
    Dirlewanger hob eine Hand und wackelte mit seinem ausgestreckten Daumen, ließ ihn mal aufwärts, mal abwärts weisen und Gelächter, fast eine Art Jubel erhob sich.
    Hans trat vom Fenster zurück und stöhnte.
    »Dein Chef?«, fragte ich.
    »Ja, und zurzeit auch deiner«, erwiderte er, fiel kurz in sich zusammen und raffte sich wieder auf. »Es ist nicht die Grausamkeit, nein. Nicht, dass er in Russland seine Beuteweiber morgens wie Hündinnen ausgeführt hat. Nicht, dass er ganz besonders enge Strafzellen für uns hat bauen lassen. Furchtbar ist, dass er andere damit amüsieren will. Er muss es immerzu teilen. Allein macht es ihm keinen Spaß. Er ist ein Unterhalter, hört, wie sie schreien. Diese Farce ist sein Triumph.«
    Hans blickte mich so durchdringend an, als wollte er in mir einen Gedanken wachrufen. Draußen polterte das Balkenkreuz zu Boden; die Abstimmung war entschieden.
    Bevor wir uns trennten, gab mir Hans ein Bündel kleiner, einmal gefalteter Briefchen an seine Geliebte. Obwohl ich ihm versicherte, nicht mehr zurück nach Berlin zu kommen, war er erst zufrieden, nachdem ich sie eingesteckt hatte.
    »Du hast doch erzählt, du seist ein Bote, oder? Du kannst sie ihr ja auch schicken, die Adresse steht drauf«, sagte er und kratzte sich den Staub vom Kopf.
    Sein Blick verriet mir, dass er keine Hoffnung mehr hatte.
    In dieser Nacht schlief ich kaum, schreckte immer wieder hoch und fragte mich, wie ich Fadil schützen und zugleich dafür sorgen konnte, dass er mich nicht umbrachte.
    »Hilf mir, wenn du leben willst«, sagte ich ihm am Morgen, doch er schwieg dazu.
    Unterscharführer Schwenke war wieder einmal aufgetaucht und verteilte unsere Einheit auf verschiedene Straßenzüge. Als wir aufbrachen, war der Kampf schon in vollem Gange. Über die Dorodowa-Straße schlugen wir uns ostwärts durch, den Stadtteil Wola im Rücken, den Schwenke als »großenteils befriedet« bezeichnet hatte. Er war in Rauch gehüllt, und wir torkelten wie Volltrunkene über die an den Hauswänden emporwachsenden Leichenhügel. Fliegenschwärme stoben auf, die Hitze war unerträglich. Ab und an flogen Geschosse über uns hinweg, deren Gewicht wir unten auf der Straße zu spüren glaubten, und sprengten ganze Fassadenteile aus den Häusern der Altstadt.
    »Weiter, weiter!«, brüllte Schwenke hinter uns.
    Wir drangen ein in die Gebäude, schlichen die Treppen hinauf, traten die Türen ein und töteten jeden, den wir in den Wohnungen antrafen. Es waren zumeist junge Männer, die in ihren trotz der Hitze dicken Wolljacken aussahen wie abgerissene Studenten. Die wenigen Unbewaffneten trieben wir in die oberen Etagen und stürzten sie aus den Fenstern. An diesem Tag ging uns alles leichter von der Hand.
    Einmal blickte ich auf die Straße hinaus und sah eine Gruppe von Dirlewangers B-Soldaten in einer Sackgasse in schweres Kreuzfeuer aus wahrscheinlich erbeuteten MG -42 geraten. Anstatt zurückzuweichen, sammelten sie sich wie Schafe im Schussfeld und wurden einer nach dem anderen erschossen. Ich hoffte, dass Hans nicht unter ihnen war.
    Gegen Mittag gab es einen deutschen Luftangriff. Markerschütternd aufheulende Stukas bombardierten die Altstadt. Wir machten Pause in einem halbzerstörten Park, in dem Aufständische auf ihre Erschießung warteten. Nicht mehr als ein aufgespanntes Seil trennte uns von ihnen, die ihre Hände im Nacken zu halten hatten, es aber nicht taten. Mit viel Umsicht gelang es uns, unseren Wodka mit ihnen zu teilen.
    »Warum seid ihr nicht gegangen?«, flüsterte ich ihnen zu.
    Keiner schien mich zu verstehen, doch dann hob ein schlaksiger Bursche den Kopf. Auf der Linie seines Seitenscheitels zog sich eine Blutspur entlang, sein linkes Auge war schwarz.
    »Warum

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