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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sprengen, sie stand offen, denn die Dirlewangers waren schon da. In dem von schwachem Lampenlicht beleuchteten Tunnel zuckten ihre riesigen Schatten über die Wände, während sie Kopf um Kopf der hier versteckten Kranken zerschlugen. Ängstlich wichen wir vor ihnen zurück, denn sie waren wie von Sinnen. Wimmernd kauerten drei junge Krankenschwestern in einer Ecke. Eine vierte lag auf einem breiten Holztisch. Ihre Füße waren abgetrennt und der keuchende Mann vor ihr hob einen Feldspaten über ihren pumpend atmenden Leib.
    Die Wände und der Boden waren besudelt, ich stolperte und rutschte auf der rasch gerinnenden Blutgrütze bis zur nächsten Tür und floh die Treppe hinauf bis in eine Durchfahrt. Hier standen Zivilisten und Aufständische in einer Reihe an der Wand. Einige der jungen Männer trugen schlecht sitzende deutsche Uniformen und ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff, wer sie waren. Männer der Sturmbrigade schafften stapelweise alte Bücher heran und verteilten sie an die Leute.
    »Festhalten, ja, ja, schön festhalten!«, brüllte der Zugführer.
    Die Schreie aus dem Keller hallten in der Durchfahrt wider und lähmten alle.
    »Wer seid ihr denn?«, fragte der Mann und ich sagte es ihm. »Aha. Dann kommt mal her.«
    Der Zugführer packte mich und zog mich vor die wartenden Leute.
    »Ihr vier und ihr da hinten«, sagte er und versammelte das Kommando vor den Gefangenen.
    Ich blickte in die Augen dieser Menschen, mein Herzschlag verlangsamte sich plötzlich und meine Hände erstarrten, als sie sich bekreuzigten und die Bücher dabei dennoch festhielten.
    »Wir sind verdammt«, sagte Fadil auf Deutsch vor sich hin, als es vorbei war.
    »Quatsch nicht!«, fuhr ihn der Zugführer an. »Am Aschermittwoch ist alles vorbei.«
    Die Erschossenen lagen am Boden, die Bücher in den Händen, auf welche die Brigadisten Benzin gossen. Vor dem Anzünden schlug einer den leeren Kanister gegen die Hauswand und rief in den Keller:
    »Alles raus aus den Betten!«
    Vor den Gewehrläufen ihrer Peiniger stiegen die Krankenschwestern herauf, es waren nur drei. Das Tageslicht blendete alle.
    Gegen Abend sammelten wir uns wieder in einer alten Fabrik mit großem Vorplatz. Hier gab es eine geborstene Rohrleitung, aus der frisches Wasser floss. Jeder hatte Durst, der Andrang war so groß, dass gerade Zeit genug blieb, um zu trinken und den Kopf in den Strahl zu halten. Ich war eben fertig und wischte mir das Wasser vom Gesicht, da stand ein Kamerad vor mir, der mich an Hermann erinnerte.
    »Gehörst du zu den Muselmanen?«, fragte er.
    Ich bejahte, erfuhr, dass er Hans hieß und aus Berlin kam, dann stellte ich ihm Fadil vor.
    Hans schüttelte immerfort leicht den Kopf und mir fiel auf, wie blass und abgemagert er war. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er trug eine dieser Uniformen ohne Abzeichen.
    »Ich bin B-Soldat«, erklärte er. »B steht für Bewährung.«
    »Strafbataillon?«
    »Ja. Mein vorlautes Maul.«
    »Den Menschen tötet seine Zunge«, sagte Fadil.
    Ich übersetzte es und fügte an:
    »Eine Redensart bei uns.«
    Hans nickte, blickte umher und sagte:
    »Wirklich alles trifft sich gerade in Warschau.«
    Wir wollten ihn zu seiner Truppe begleiten, doch er hielt uns davon ab. Abseits der Meute, die für Wasser anstand, flüsterte er:
    »Da sind hundsgemeine Burschen dabei. Denen wollt ihr nicht begegnen.«
    Wir suchten uns eine stille Ecke im zweiten Stock der Fabrik, Rostam und Farhad schlossen sich an, obwohl sie uns kaum verstehen konnten. Hans begann mich nach meiner Herkunft und meinem Beruf auszufragen, er war begierig nach jeder Information von draußen. Ich erzählte ihm auch von meinen Erlebnissen in Berlin und bemerkte, wie er den Kopf hängen ließ. Also färbte ich alles etwas heiterer, bis er sich wieder gefangen hatte.
    Nach Einbruch der Dunkelheit gab es nur noch vereinzelte Explosionen, doch Ruhe kehrte nicht ein. Unsere Körper begannen zu zucken, jetzt erst lockerten sich von selbst die verkrampften Glieder und unsere Stimmung verdüsterte sich. Vor der Fabrik zur Straße hin erhob sich Gejohle, und als wir durch die eisernen Lamellen der Fensterschlitze hinausblickten, sahen wir ein paar hundert Menschen, die sich dort versammelt hatten. Angehörige aller Truppenteile, von der Wehrmacht bis zur Sicherheitspolizei, sogar Zivilisten waren dabei. Sie umstanden eine Straßenlaterne mit schön geschwungener Aufhängung, an der ein Galgenstrick befestigt war. Irgendwo brannte ein Feuer, sein

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