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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Handgranaten und warfen sie über die Barrikade. Gleich nach den Explosionen stiegen wir hinauf und erschossen drei junge Burschen, denen die staubbedeckten Schiebermützen von den Köpfen fielen, als sie dorthin kriechen wollten, wo wir hineinmussten. Die Türen der Seitenausgänge waren offen, doch die Kellertür mussten wir mit einer Traube zusammengeschnürter Granaten sprengen, die wir vorsichtig an die Klinke hängten, bevor wir zurück in den Hof rannten. Die Übrigen waren bereits nachgerückt, kurz starrten alle zu den Fenstern hinauf. Es wurde rasch wärmer an diesem Vormittag, doch Rauchschwaden überzogen den Himmel in Wellenmustern.
    »Und los«, brüllte Schneck.
    Die Seitengewehre voran, stiegen wir die enge unbeleuchtete Treppe hinab in den Keller, die anderen sollten uns in fünf Metern Abstand folgen. Modrig riechende Dunkelheit umfing uns, bis endlich zwei längliche, schmutzige Fenster in Sicht kamen. Instinktiv wichen wir den Lichtinseln aus, duckten uns nach beiden Seiten fort und entgingen so den Pistolenschüssen, um gleich darauf, wie wir es tausendmal geübt hatten, aufwärts zu stoßen. Alles, was ich sah, waren die mageren, hellen Beine meines Gegners; er trug kurze Hosen. Als er zu Boden stürzte, riss er mir das Gewehr aus den schweißnassen Händen. Ich warf mich auf ihn, schob sein Kinn nach oben und schnitt ihm die Kehle durch. Seine Wangen waren glatt wie die einer Frau.
    Gleich darauf standen wir wieder vor einer Tür. Sie war aus dünnem Holz zusammengezimmert. Hier gab es ein wenig Licht, linker Hand führte eine moosbewachsene Treppe ins Freie.
    »Allah!«, keuchte Fadil.
    Er war blutbeschmiert und kreidebleich.
    »Wisch dein Gesicht ab«, sagte ich, »wir wollen sie nicht erschrecken.«
    Ich schob ihn hinter mich und trat die Tür ein. Geschrei erhob sich, ich feuerte in den stockdunklen Raum, wartete eine Sekunde und sprang hinein. Ein Schlag traf seitlich meinen Kopf und warf mich zu Boden. Ich kroch über Kleiderhaufen oder Säcke voran bis zur nächsten Wand und drehte mich um. Ein Schemen erhob sich über mir, ich wälzte mich zur Seite, und was beinahe lautlos im weichen Boden versank, war ein Axtkopf. Wieder auf den Beinen, hieb ich den Dolch in die Mitte der Gestalt, riss ihn nach oben, bis er an die Rippen stieß und dann im Bogen seitwärts. Bevor mir das rasch hervorquellende Gedärm in die Arme fiel, rempelte ich den Mann fort.
    Es roch nach Scheiße und Blut, die Hitze nahm mir den Atem, der Schweiß tropfte mir von Nase, Kinn und Ohren. Ich tastete nach dem Gewehr und sah Fadil noch in der Tür stehen.
    »Was ist?«, rief ich. »Komm!«
    »Du hast immer Glück«, sagte er.
    »Willst du, dass wir beide verrecken?«
    Das überzeugte ihn, und er folgte mir von nun an durch die nächsten Räume, die allesamt verlassen waren. Kochgeschirr lag herum, ein paar Plakate der Heimatarmee und ein Kopftuch mit Blumenmuster. Da uns niemand folgte, verließen wir beim nächsten Durchgang den Keller. Aufatmend traten wir ins Tageslicht hinaus und standen direkt vor Papa Schneck. Seine unrasierten fetten Wangen verschoben sich zu einem Lächeln.
    »Das habt ihr ja ganz allein geschafft. Respekt!«
    »Wir hatten Glück«, erwiderte ich.
    »Braucht man immer. Kommt alles ins Buch. Ab!«
    Auf der Wolska-Straße trafen wir auf einen anderen Zug, und ich war froh, Rostam und Farhad wiederzusehen, die wie wir als Stoßtrupp eingesetzt wurden. Wir blieben beisammen und das verbesserte unsere Chancen bei jedem weiteren Keller deutlich, denn im Töten waren sie fast so geschickt wie ich.
    Zur Weichsel hin stand ein Wehrmachts-Tiger quer zu uns auf der Straße. Unablässig feuerte er in die Hausfassaden wie in Ermangelung eines ernst zu nehmenden Gegners. Dieses stählerne Ungeheuer stellte den nächsten Sammelpunkt dar. Doch bis dahin war es zu weit; wir gerieten immer wieder unter Beschuss, krochen an zerstörten, roten Straßenbahnwaggons, an Zäunen und Mauern entlang und sahen durch Spalten und Löcher Leichenberge in Vorgärten, Höfen und Kellern. Vor einem geräumten Hospital waren die verbrannten Patienten aufgereiht, mit ihren Matratzen zu Klumpen verschmolzen, klein wie Kinder, mit großen, nackten Zähnen, die kohlschwarzen Glieder emporgereckt.
    Dort hinüber trieb uns Papa Schneck. Wir sammelten uns am Seiteneingang eines alten Gebäudes und der Stoßtrupp musste wieder in den Keller.
    »Und ab«, sagte der Scharführer grinsend.
    Diesmal brauchten wir die Tür nicht zu

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