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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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stand auf Gesichtern, ein Anblick wie aus einem bösen Traum. Zum Spaß hob ich die Fäuste, doch er reagierte nicht. Sein stierer Blick verriet, dass er betrunken war, aber für diese Arbeit nicht betrunken genug.
    Ich bin nicht sicher, ob es am verabredeten Sammelpunkt war, aber irgendwann standen wir alle auf einem der großen Plätze in der Altstadt. Ich vermisste Rostam unter den Männern und fand mich im Stillen damit ab.
    Dirlewanger wollte nicht nur neue Instruktionen geben. An diesem Tag war er zum SS -Oberführer ernannt worden und seine Sonderbrigade gehörte nun offiziell zur Waffen- SS . Außerdem war er vorgeschlagen worden für ein Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, und das war zum Feiern Grund genug. Der Abendwind spielte im Laub der verbliebenen Bäume und ein Schützenpanzerwagen war wie zur Beruhigung neben der angetretenen Truppe abgestellt.
    Eine schöne Dame stand in der Nähe des Oberführers. Sie trug ein weißes Sommerkleid und über den Schultern ein helles, gelbes Tuch. Der knielange Rock ließ die Seidenstrumpfhosen an ihren Beinen sehen. Ich betrachtete verstohlen ihren Lippenstiftmund und ihre langen, dunklen Wimpern. Die Blicke der vielen Männer schienen ihr nicht unangenehm zu sein, und doch schaute sie ab und an zu Boden, als wäre sie verlegen. Diese elegante Frau war die Freundin des Oberführers.
    Dirlewanger trug auf der Schulter ein Äffchen mit sich herum, das er neckte und streichelte, während er uns davon unterrichtete, wie zufrieden er mit unserer Arbeit sei. Er erklärte uns, wo noch verbliebene Widerstandsnester auszuschalten seien und wie die Operationen der nächsten Tage abzulaufen hätten. Er kraulte das Äffchen, jedoch so grob, dass es zurückwich und mit seiner winzigen Hand nach dem Daumen schlug.
    An dem Abend sah ich zum einzigen Mal SS -Gruppenführer Reinefarth, der all unsere Operationen koordinierte und von Dirlewanger mit besonderer Höflichkeit behandelt wurde. Reinefarth hingegen bemühte sich nach Kräften, den SS -Oberführer mit seinem absurden Spielzeug zu ignorieren. Er hatte das Gesicht eines Studienrats und in seiner durch Strenge gebändigten Nervosität wirkte er erschöpft. Dennoch bedankte auch er sich bei uns für unseren Einsatz und versprach für die kommenden Tage bessere Versorgung mit Trinkwasser, Waschgelegenheiten, Proviant und natürlich Sonderrationen. Es sei, sagte er, für ihn von größter Bedeutung, dass dieser unselige und sinnlose Aufstand so schnell wie möglich niedergeschlagen werde. Einige taktische Verschiebungen machten die Eile notwendig, auch wenn er verstehen könne, dass wir alle Ruhe bräuchten.
    Den Muslimen verkündete Reinefarth noch, dass endlich ein neuer und sehr fähiger Führer für die Einheit gefunden sei, der demnächst das Kommando übernehmen werde. Es handele sich um Standartenführer Wilhelm Harun al-Raschid Bey Hintersatz, er stamme, wie der Gruppenführer mit feinem Lächeln hinzusetzte, überraschenderweise aus der schönen Lausitz. Der Name rief Erinnerungen wach, und mir ging wie wahrscheinlich manchem meiner Kameraden der Gedanke durch den Kopf, dass nun auch wir wieder Teil der regulären Streitkräfte waren.
    Während alle noch immer gebannt waren vom Anblick der schönen Dame, bewunderte ich das Ritterkreuz an Reinefarths magerem Hals. Unsere Imame hatten uns gleich am Anfang schon klargemacht, dass wir ohnehin weder ein Eisernes noch ein Ritterkreuz je annehmen konnten, da sie christliche Symbole darstellten.
    Hinterher traf ich Hans wieder, der mir erklärte, dass mit den »taktischen Verschiebungen« die Russen am anderen Weichselufer, einen Katzensprung von uns entfernt, gemeint waren.
    »Kann man sie sehen?«, fragte ich entgeistert.
    »Jeden Tag«, erwiderte Hans. »Wo warst du denn die ganze Zeit? – Hast du die Briefe noch?«
    Ich bejahte.
    »Wo ist dein Freund – der kleine, schlaue?«
    Nachdem ich ihm berichtet hatte, brachte ich ihn dazu, aus dem Lager zu schleichen. Doch er hatte Angst.
    »Was willst du hier draußen? Sie werden uns noch erschießen.«
    »Nur ein paar Schritte«, versicherte ich ihm, schließlich aber kletterten wir über eine Feuerleiter auf eines der leeren Häuser und legten uns bäuchlings auf das Dach.
    Was ich sah, war mir nicht neu; wir hatten viele Dörfer in Brand gesteckt und zugeschaut, bis kaum noch etwas von ihnen übrig war. Aber das waren Dörfer mit ärmlichen, strohgedeckten Katen und manchmal auch einer Kirche. Das hier war eine Stadt mit

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