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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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von ihm zum Boten machen und zog mir schließlich nach dem Unterricht auf seinen Befehl die Hosen herunter. Fadil verzichtete auf Bestrafung, begutachtete nur kurz meine Behaarung und Anatomie. Fortan gehörte ich zu den Schwarzhemden, ohne ihre Uniform zu tragen und ohne ihre paramilitärische Ausbildung zu erhalten.
    Eines Tages blieb der Lehrer vor mir stehen, musterte mich aufmerksam und verlangte, ich solle mich besser kleiden. Mir wurde flau, vor Scham wollte ich in meinen abgewetzten Kleidern verschwinden, die ich jeden Morgen vor der Schule im Fluss wusch und im Wind trocknen ließ. Bald danach steckte mir Fadil ein Bündel Geld zu und nickte dabei gönnerhaft.
    Ich schlenderte durch die Shorjah und ließ den Blick begehrlich über die Angebote der Schneider schweifen wie ein sorgloses Kind reicher Eltern. Meine Hand hielt das Geldbündel in der Tasche, ich fühlte mich behütet und getragen von einer Macht, die ich noch immer nicht durchschaute, der ich inzwischen aber doch mit einem Ehrgeiz diente, den ich vorher nicht gekannt hatte. Ja, dachte ich, sollen sie mich erziehen, mich verändern und verbessern wie dieses Land. Es ist richtig, man muss nach vorn schauen und nicht an der Vergangenheit hängen, an dem, was man, weil man es kennt, für sicher hält. Ich betrachtete die windschiefen Häuser, das Gewirr von Kabeln und Wäscheleinen, den Abfall in den Nischen zwischen den Shops, den Schmutz in den Gesichtern der die Gassen entlangstampfenden Lastenträger und der unter ihren weiten Gewändern breitbeinig im Staub hockenden Frauen aus dem Umland, die hier ihre mageren Ernten feilboten. Das alles muss sich ändern, stellte ich fest und dachte unvermittelt an Salomon Golan in jenem Lagerhaus mit seinem Telefon. Er hatte recht gehabt, dachte ich, heutzutage ist die Welt grenzenlos, aber nur wenige begreifen das. Bald werden hier sogar die Deutschen sein, ihre Flugzeuge machen es möglich. Und kurz kam es mir vor, als hätte ich mein ganzes bisheriges Leben geschlafen wie all diese in der ewigen Wiederholung befangenen Menschen um mich und sei jetzt erst erwacht.
    Der Schneider blickte argwöhnisch, als ich seinen engen Laden betrat. Offenkundig hatte er nicht viel zu tun, sein halbvolles Teeglas stand auf der Ladentheke. Um die Sache abzukürzen, zeigte ich ihm das Geldbündel und brachte mein Anliegen vor. Die Gesichtszüge des Schneiders glätteten sich, ganz leicht senkte er nun den Kopf, betrachtete mich aufmerksam und wies mir sodann freundlich den Weg hinüber zu den an der Wand aufgetürmten Stoffballen.
    Die Auswahl machte mir Probleme, ich wusste nicht recht, welche Art von Stoff ich nehmen sollte. Der Schneider half mir, machte ein paar Vorschläge und wählte schließlich selbst; einen hellen Baumwollstoff, so hell, dass ich unsicher wurde. Doch er zerstreute meine Zweifel, sprach über das intensive Sonnenlicht und die Weisheit der britischen Kolonialherren, die diese Art von Material bevorzugten. Schon hielt er sein Maßband in den Händen, ließ mich die Arme heben, ging um mich herum, kniete vor mir. Ich fühlte mich unwohl, denn ich war nicht sauber, mein Schweißgeruch erfüllte den Laden. So schaute ich stur zum Fenster hinaus, durch das mich Passanten tatsächlich wie jemanden ihresgleichen betrachteten. Das setzte mich in Erstaunen, denn sonst beachtete mich niemand, auf der Straße schien ich so gut wie unsichtbar zu sein. Jetzt sah man mich und wie man mir zu Diensten war, jetzt gab es Grund, den Blick, wenn auch nur im Vorübergehen, nach mir zu wenden.
    Das alles aber war nichts verglichen mit dem Erlebnis drei Tage später, als ich meine Kleider abholte. Der Schneider breitete die Arme aus, als ich den Laden betrat, um sich sogleich zurückzuziehen. Eilfertig brachte er mir Hemd und Hose und bestand darauf, dass ich sie sofort anzog. Diesmal hatte ich mich vorher im Fluss gewaschen und konnte seinen Anweisungen gelassen folgen.
    So verwandelte ich mich vor seinen skeptisch zusammengekniffenen Augen und gewiss auch für die Passanten im Fenster in eine Person, die ich vorher nicht kannte. Als die Ärmel des Baumwollhemdes meine Arme bedeckten und der lächelnde Schneider den Kragen zurechtzupfte, war es, als würde der verbrauchte, verschwitzte Straßenjunge Anwar neu belebt werden. Ich blickte auf die hellen Hosen hinab und selbst meine dicken braunen Füße in den Sandalen erschienen mir wie die eines anderen. Unsicher fragte ich den Schneider nach einem Kamm und er brachte mir

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