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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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und eröffnete mir, dass mein Deutschunterricht nun beendet sei. Es gäbe neue Aufgaben für mich. Mein Bedauern war groß. Gerade erst hatte ich gelernt, dass Hitler den Grund für die in Deutschland sich ausbreitende Prostitution im modernen, sozialen Staat sah, der eine frühe Eheschließung verhinderte. Ich hatte darüber nachgegrübelt und es überzeugte mich so lange, bis ich an mein Land dachte und mich fragte, was Hitler wohl sagen würde, wüsste er, dass es sie auch bei uns gibt.
    »Wir schicken dich zu den Engländern«, sagte Nidal und grinste. »Sie brauchen einen Boten und glauben tatsächlich, wir würden davon nichts wissen. Es geht um eine Engländerin, die seit einiger Zeit in der Stadt ist. Du sollst sie nur begleiten und ihr helfen, wenn es nötig ist. Sie geht beim englischen Botschafter ein und aus, aber du kümmerst dich um all das nicht. Wir hören alles. Was du tun sollst, ist, sie im Auge behalten, damit wir wissen, wo sie sich aufhält. Sie wandert gern herum.«
    »Ist sie eine Agentin?«, fragte ich vorlaut.
    Nidal stieß mich gegen die Schulter. »Du sollst keine Fragen stellen. Natürlich ist sie eine Agentin, warum sonst wäre sie hier?«
    So kam ich in die Nähe dieser interessanten Frau, die häufig in den Basar ging oder ihre nicht wenigen Bekannten in Bagdad besuchte. Ich ging ihr zur Hand, wenn es etwas zu tragen gab. Das war nicht selten der Fall, denn sie kaufte reichlich ein. So viel, dass ich mich fragte, wie sie all die Stoffe, Messingkannen und Teller, all die Samoware und Musikinstrumente zurück nach Europa transportieren wollte. Doch wenn ich sie ansah, wie sie selbstbewusst und aufrecht einherschritt, war ich überzeugt, dass sie einen Weg finden würde.
    Während eines Besuchs bei einem englischen General wartete ich draußen vor der Tür. Mir wurde langweilig und so tat ich ein paar Schritte auf der weiten Terrasse, betrachtete den gepflegten Garten. Meine Hose verfing sich in den Rosenbüschen. Mit spitzen Fingern versuchte ich den Stoff von den Dornen zu lösen. Da fiel mein Blick durch das Fenster. Die englische Frau saß in einem Stuhl mit sehr hoher Lehne. Ich schämte mich ein bisschen für die neugierigen Blicke, konnte mich aber von dem Fenster nicht losreißen. Noch immer hing meine Hose in den Rosen fest, doch ich richtete mich auf, um besser sehen zu können.
    Die Frau saß unnatürlich steif auf dem Stuhl, sie hielt den Kopf leicht schräg und veränderte die Haltung nicht. Ich betrachtete ihr dunkelblaues Kleid aus festem Stoff, den schmalen Gürtel um ihre Taille und das weiße Seidentuch, das sie um den Hals trug. Ich sah ihr hochgestecktes blondes Haar. An diesem Tag hatte sie sich besonders gekleidet und zurechtgemacht. Doch erst jetzt verstand ich, zu welchem Zweck. Der General, ein schlanker, steif wirkender Mann mit buschigem Schnurrbart, trat heran und zupfte an ihrem Halstuch. In der Linken hielt er eine große geschwungene Palette voller Farbkleckse. An einer Stelle war ein Loch im Holz, durch das er seinen Daumen gesteckt hatte. Er war sehr vorsichtig mit dem langen Pinsel in der anderen Hand, berührte das Tuch nur mit dem kleinen Finger. Zum ersten Mal sah ich diesen sonst so feierlich gekleideten Mann in einem fleckigen Kittel. Der General ging rückwärts, kniff ein Auge zusammen und stellte sich wieder hinter die Leinwand. Ich konnte ihn nur sehen, weil ich mich jetzt mit Gewalt von dem Rosenstrauch löste und einen Schritt zur Seite tat. Ich stellte mir das Bild auf der Leinwand vor und fragte mich, ob wohl auch das Fenster, an dem ich stand, darauf zu sehen war, hinter jener stolz im Stuhl thronenden Frau. Sicher hatte der General sie recht gut getroffen. Ich kannte die Abbildungen von Herrschern aus Büchern. Auch im Botschaftsgebäude gab es mehrere große Ölporträts, doch war mir nie in den Sinn gekommen, dass es sich bei den Dargestellten um wirkliche Menschen handelte. Die Frau, die ich seit einigen Tagen begleitete, verwandelte sich vor meinen Augen in jemanden, der wichtig genug war, dass man sein Abbild für die Zukunft aufbewahrte.
    Eine der Wachen hatte mich die ganze Zeit über im Blick behalten. Jetzt kam der Mann mit ausgestreckten Armen heran und machte fortwischende Handbewegungen. Ich fuhr zusammen und ging den gepflasterten Weg entlang bis zum anderen Ende des Gebäudes.
    Ich war Zurechtweisungen gewöhnt und leistete ihnen reflexartig Folge, wartete, wo ich stand, bis die englische Frau endlich herauskam. Sie war in

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