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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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tuschelten, jedoch sofort aufsprangen, wenn ich ihnen ein Zeichen gab.
    Manchmal fühlte ich den Blick des Großmuftis wie einen Schatten auf mir ruhen. Dann wandte ich mich um und erblickte im Fenster seine schmale Gestalt. Gerade aufgerichtet, mit hoch erhobenem Kopf stand er da und rührte sich nicht, wenn unsere Blicke sich trafen. Der Bart rahmte wie ein kupferfarbener Ring das Gesicht und in seinen Augen lag nichts als bezwingender Stolz. Um diesen Blick beneidete ich ihn, hob sogleich die Hände und verneigte mich.
    Den Großteil der Zeit verbrachten wir vor dem Tor unter einem Brett, an dem drei Glöckchen befestigt waren. Wurde einer von uns gebraucht, zog ein Sekretär des Großmuftis im Haus am jeweiligen Band. Das linke Glöckchen bedeutete, ein Botengang war auszuführen, das rechte, es gab etwas im Haus zu tun. Das mittlere Glöckchen aber war nur für mich bestimmt, klingelte es, dann wollte ein wichtiger Mann oder sogar der Großmufti selbst das Haus verlassen und brauchte jemanden, der sein Gepäck trug, meistens eine Aktentasche voller Papiere.
    So war es auch an dem Tag, als ich dem Oberst begegnete. Inzwischen hatte unser englandfreundlicher Premier abdanken müssen, es war ein offenes Geheimnis, dass der Großmufti der wahre Herrscher im Land war, der jedoch als solcher nie auftrat. Das übernahm Oberst Rashid Ali, Spross einer altehrwürdigen sunnitischen Familie, klein und robust von Gestalt und im Auftreten immer entschlossen wie ein Feldherr. Es war nicht klar, ob er sich mit seiner Rolle als Marionette des Großmuftis abgefunden hatte oder ob er die Macht so sehr begehrte, dass er glaubte, sie durch seinen Gönner erlangen und mit ihr diesen schließlich loswerden zu können.
    Das mittlere Glöckchen schlug an, ich wies die beiden Gehilfen an, beiseitezugehen und öffnete das Hoftor, schritt rasch zurück zum Haus und postierte mich neben der Tür, die sich gleich darauf öffnete. Rashid Ali eilte heraus, gefolgt von einem schwitzenden Tölpel, der die Aktentasche mit seinen nassen Händen kaum halten konnte und auf der einen Stufe bereits stolperte. Rashid Ali blieb stehen und verharrte hörbar atmend mit dem Rücken zu ihm wie jemand, der ohne hinzuschauen, genau wusste, was geschehen war. Der Hausdiener kniete am Boden und versuchte verzweifelt, die Papiere so schnell wie möglich einzusammeln. Doch auch dabei stellte er sich vor Aufregung so ungeschickt an, dass ich seine Handgelenke packte und ihn beiseiteschob. Gewissenhaft und zügig las ich jedes einzelne Blatt vom Boden auf, pustete dagegen und tat es in die Tasche zurück. Dabei achtete ich darauf, nur die Rückseiten in meine Richtung zu halten und dabei offenkundig unbeteiligt zu schauen. Rashid Ali stand dicht bei mir und schaute auf mich herab, beobachtete jeden meiner Handgriffe.
    Ich erhob mich, hielt die geöffnete Aktentasche vor der Brust. Rashid Ali nickte stumm, machte keine Anstalten zu gehen. Sein Wagen stand mit laufendem Motor und geöffneter Tür vor dem Hoftor, der Hausdiener zog sich schweigend zurück. Ich betrachtete das Holster an Rashid Alis Gürtel. Er öffnete es und legte die Hand auf den Griff der Pistole.
    »Magst du Waffen?«, fragte er und ich, der nicht wagte, ihm in die Augen zu sehen, nickte nur.
    Rashid Ali fragte mich nach meinem Namen und meiner Herkunft. Viel hatte ich dazu nicht zu sagen, doch er hörte aufmerksam zu, schien sich tatsächlich alles merken zu wollen.
    Er legte mir die Hand auf den Kopf und sagte abschließend nur:
    »Gut.«
    Danach wandte er sich um und ging zum Wagen, ich folgte ihm, die Aktentasche vor mich haltend wie einen Teller, reichte sie durch das Fenster hinein und blickte dem Auto nach, wie es im Staub der Straße inmitten von Eselskarren und Fahrrädern verschwand, und hob, ohne darüber nachzudenken, zum Abschied die Hand. Meine Gehilfen blickten beeindruckt zu mir auf.
    Es war eine Zeit des Umbruchs, jede Woche konnte sich die Situation im Land verändern – und Krieg lag in der Luft. Dennoch ging das Leben in der Stadt träge weiter, die meisten Leute ahnten nicht einmal, welche Entscheidungen bevorstanden. Ich, der das Glück hatte, ständig mit aktuellen Nachrichten versorgt zu werden, spürte die Unruhe von außen in mich eindringen. In den Nächten lag ich wach, nicht weil trübe Gedanken oder gar Angst mich vom Schlafen abhielten: Nichts als diffuse Erwartung ließ mein Herz schneller schlagen.
    Bald nach der Begegnung mit Rashid Ali rief mich Nidal zu sich

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