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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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sogar einen ungeheuer blanken Spiegel dazu.
    Ich kämmte mein trockenes, verfilztes Haar sorgfältig, während er mir geduldig den Spiegel hielt, ich sah mein dunkles Gesicht darin und hinter mir das Fenster und das Licht eines fremden Tages. Wenn ich das bin, dachte ich, dann kann ich noch viel mehr sein. Ich muss nicht einer jener vielen überflüssigen jungen Männer bleiben, die in Bagdad die Straßen säumten, vor Geschäften herumlungerten oder an den Straßen auf jemand warteten, der ihnen Arbeit für ein paar Stunden gab. Einer von denen, die immer nur beschäftigt damit waren, ihr karges Leben zu erhalten, und ohne jede Aussicht, teilzuhaben an dem Großen, das dem Land ganz gewiss bevorstand.
    Auch Ezra war von meinen neuen Kleidern beeindruckt. Wir saßen zusammen auf einer Mauer im Sonnenlicht und ließen die Beine baumeln. Kurz blickte er von seiner Zeitung auf und sagte:
    »Du siehst aus wie ein Dandy. Ich erkenne dich gar nicht wieder. Sind die Schwarzhemden so gut zu dir, dass sie sogar eine Ausgehuniform spendieren?«
    »Es ist keine Uniform, es ist einfach Kleidung«, erwiderte ich und schämte mich augenblicklich. »Ich bin kein Schwarzhemd, ich lerne nur mit ihnen.«
    »Du lernst mit ihnen? Was denn?«
    »Deutsch.«
    »Deutsch? Wozu? Willst du eine größere Reise machen?«
    Ich war drauf und dran zu antworten, dass dies nicht nötig sein werde, da die Deutschen ihrerseits gerade eine größere Reise unternähmen. Aber ich besann mich eines Besseren und antwortete nur:
    »Es kann nicht schaden.«
    Wir waren nicht weit entfernt vom eindrucksvollen Schulgebäude der Alliance Israélite Universelle.
    Ezra wies mit dem Kopf hinüber und sagte:
    »Bildung bekommt man dort. Was du lernst, ist Propaganda.« Er senkte den Kopf und las weiter seine Zeitung.
    Ich musste meinen aufwallenden Zorn bezähmen.
    »Wie wäre es«, sagte ich mit zitternder Stimme, »wenn du mich einfach mit hinübernimmst, dem Direktor vorstellst und einschulen lässt?«
    Ezra blickte mich verwirrt an. »Das ist die Mädchenschule«, sagte er lachend. »Aber ich habe dich schon verstanden. Schau mal her.«
    Er hielt mir die »Iraq Times« hin und wies auf den Beitrag eines bekannten jüdischen Anwalts, der sich mit dem Zionismus auseinandersetzte. Der Text war in Englisch, Ezra übersetzte. Der Anwalt lehnte den Zionismus als eine durch und durch europäische und imperialistische Idee ab und hielt es für abwegig, dass die Juden Palästina als ihr Heimatland beanspruchten, nur weil sie vor 2000 Jahren einmal dort gelebt hatten. Es wäre absurd, so schrieb er, die Rekonstruktion historischer Geographie als Grundlage einer praktikablen Politik zu akzeptieren. Auf diese Weise würde die Welt alsbald regiert von einer Art militanter Archäologie.
    Ezra amüsierte besonders der Schluss.
    »Denkst du das auch?«, fragte ich.
    »Natürlich, alle hier denken das. Eretz Israel, ein Gelobtes Land der Habenichtse ist es, und wie alle diese Länder existiert es in Büchern und klugen Köpfen.«
    Übermütig legte er mir den Arm um die Schulter. »Baba lernt mich jetzt in seiner Firma an und ich muss mir jeden Tag seine Vorträge über den Fortschritt anhören. Bei ihm fühle ich mich wie ein Beduine, den er gerade in der Wüste aufgelesen hat. Mirjams Kandidat scheint übrigens Ernst zu machen.«
    So plauderte er vor sich hin und meine Gedanken schweiften ab. Ich blickte zu den staubbedeckten Palmen hinauf und sah den Schwärmen von Staren nach, die den tiefblauen Himmel wie eine ferne Rauchspur überzogen. Gern hätte ich Ezra von den Demütigungen durch Fadil erzählt und mich mit ihm lustig gemacht über die vor Eifer schwitzenden Gesichter der Schwarzhemden, wenn sie aus einem der Pamphlete des Großmuftis zitierten. Doch etwas sagte mir, dass es zu spät war. Zu spät für das Freisein und für die Freundschaft, zu spät für all unsere Pläne.
    »Sie sind bereit zu töten und sie können es kaum erwarten«, flüsterte ich.
    Doch Ezra verstand nicht, zu laut knatterten die Motoren der Autos, die sich im Schritttempo vorankämpften und vor jedem Teejungen bremsen mussten, der sich ihnen in den Weg stellte und sein Tablett voller Gläser an die Windschutzscheibe hielt.

6.
    M it der Zeit wurden mir wichtigere Aufgaben zugewiesen. Zwar blieb ich ein Diener, doch immerhin stand ich nun vor dem Anwesen des Großmuftis und wartete auf Befehle. Ich war nicht allein, zwei Burschen waren mir unterstellt, die unbeobachtet zwar faul und nachlässig

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