Ein weißes Land
wendig, als ritten sie den Wind. Der Lauf des Maschinengewehrs auf dem Dach fuhr herum, doch kein Schuss fiel. Zu groß war die Gefahr, die Messerschmitt zu treffen: Die Männer auf dem Dach, ebenso wie jene vor dem Tor, schützten die Botschaft nicht, sondern belagerten sie.
Ich schloss kurz die Augen, als mir klar wurde, dass ich in der Falle saß. Fieberhaft rekapitulierte ich, was ich in den letzten Tagen und Wochen gesehen und gehört, vielleicht auch nur gewittert hatte. War es möglich, dass sich die Dinge draußen so schnell verändert hatten? Dass ich in meiner blinden Beflissenheit, vielleicht auch nur in meiner Dummheit, nichts davon bemerkt hatte? War die Entscheidung bereits gefallen und dieser Hitler durch alle weiten Steppen und die alten Christenstädte im Osten hindurchmarschiert? Nein, sagte ich mir, so weit ist es noch nicht.
Die Jagdflugzeuge zogen einen weiten Kreis und kamen noch einmal zurück. Diesmal war das Knattern der Bordgeschütze zu hören, ein kurzer Feuerstoß nur, dann zog die Messerschmitt mit dem schwarzen Hakenkreuz an der Heckflosse einen langen, feinen Rauchschweif hinter sich her. Sofort ging sie in den Sinkflug über. In einem sanft abfallenden Bogen verschwand sie mitsamt ihrem Verfolger hinter den Palmenkronen am Ufer des Tigris. Wieder wartete ich auf eine Explosion, die nicht erfolgte.
In der Botschaft waren bereits so viele Menschen versammelt, dass die Räume sie nicht mehr fassen konnten. Damit die Leute nicht auf den Fluren des Gebäudes lagerten, hatte man ihnen im zweiten Stock einen Schlafsaal eingerichtet. Ich blieb an der Tür des Raumes stehen. Immer wieder musste ich beiseitetreten, denn es herrschte ständiges Kommen und Gehen. Der Raum war hoffnungslos überfüllt, Deckenlager säumten die Wände, Koffer, Taschen, Körbe und Pakete stapelten sich. Gegen die Mittagshitze hatte man die Fenster verhängt, der Strom war ausgefallen und der Deckenventilator hing dunkel und bedrohlich in der Luft, Fliegen surrten durch das Dämmerlicht. In diesem Chaos kauerten Mütter mit ihren Kindern, während die Männer sich mühten, Gassen zu schaffen inmitten der aufgetürmten Habseligkeiten. Ich gab den Weg frei für den Botschafter und die englische Frau. Sie besichtigten den neuen Schlafsaal. Doch der Geruch der vielen Menschen ließ sie sofort zurückweichen. Der Botschafter breitete beschirmend die Arme aus und drängte die Frau aus dem Raum.
»Und doch blicken sie hoffungsvoll, finden Sie nicht?«, hörte ich ihn sagen.
»Oh ja«, antwortete die Frau, »sie blicken so treu wie Hunde.«
Sie sprachen über die Inder, die innegehalten hatten, als die beiden den Raum betraten. Es gab im Land viele von ihnen; sie kämpften im Namen des Empire gegen die irakischen Truppen des neuen Machthabers.
Ich folgte dem Botschafter und der Frau auf die weite Terrasse hinaus. Über dem Tigrisufer gelegen, bot sie einen für Einheimische ungewohnten Blick über den dahineilenden Fluss. In der Ferne erhob sich mit feingesponnenen Metallgeländern die Faisal-Brücke aus dem Dunst.
Rauch lag in der Luft. Vor einem der größeren Nebengebäude brannte ein Papierhaufen. Das Botschaftsarchiv wurde vernichtet, mit Harken schoben Amtsdiener die Dokumente in die Flammen. Was immer sie dort beseitigten, es musste wichtig genug sein, um rechtzeitig dafür zu sorgen, dass es dem Feind nicht in die Hände fiel. Ich ahnte jetzt, wie groß die Gefahr bereits war. Möglicherweise hielt sich die Botschaft nicht mehr lange. Überall auf dem Gelände standen sandgefüllte Ölfässer als Splitterschutz gegen eventuelle Bombentreffer. Soweit ich wusste, konzentrierten sich die Kämpfe in der Gegend um Habbaniya und, ganz im Süden, um Basra. Alles, dachte ich, hängt vom Ausgang der Gefechte dort ab, und es kann einfach nicht sein, dass die irakischen Truppen in diesem Aufstand die Engländer bezwingen. Mochte Hitler im Osten auch noch so viel siegen, diese hier waren nicht in der Lage, es ihm gleichzutun. Mochten der Großmufti und sein Gefolge die Ideen der Deutschen hierhergebracht haben, deren Kampfkraft fehlte ihnen.
Vor dem Schlafsaal geriet ich in eine Gruppe von Zuhörern, die mir den Weg versperrten. Sie umstanden eine kleine rundliche Frau, die weinend und mit ausgreifenden Armbewegungen pausenlos in einer fremden Sprache deklamierte. Eine zweite Frau, ebenfalls Europäerin, übersetzte das Gesagte zusammenfassend. Ihre Armreifen klimperten, da auch sie wild gestikulierte. So erfuhr ich,
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