Ein weißes Land
nach Alwiyah gehen wollte, einem der besseren Vororte von Bagdad, wo sie ein großes Haus mit Garten bewohnte. Stattdessen zog sie es vor, die Britische Botschaft am Tigrisufer aufzusuchen.
»Embassy«, sagte sie sehr langsam und deutlich und ich nickte.
Es war ein normaler, ein friedlicher Tag gewesen bis zum Erscheinen der Flugzeuge. Danach schien mir alles wie verwandelt. Das Treiben auf den Straßen nahm zwar seinen Gang, die angelaufenen, metallenen Schreibmaschinen der Briefschreiber klapperten wieder, während die Auftraggeber davorstanden und das Papier beobachteten, wie es sich Zeile um Zeile nach oben herausschob. Die Bettler, Kinder und Greise umringten die englische Frau und hielten doch Abstand, trotteten ihr wie immer nach, bis ich sie vertrieb, was sie mir lautstark übelnahmen, da ich, als jemand von hier, ihnen die Frau eigentlich hätte zutreiben sollen. Und doch lag etwas Fremdes in der Luft, noch lange nachdem die Flugblätter auf dem Erdboden gelandet waren.
Vor dem Eingangstor zur Botschaft erschraken wir, und ich fühlte mich bestätigt. Wo früher nur gepflegte Hecken und vereinzelte Wacholderbäume zu sehen gewesen waren, glänzte jetzt Stacheldraht in der Sonne. In endlosen Schleifen wand er sich über dem Tor und in die Zweige der Pflanzen hinein wie ein neues Gewächs aus einer anderen Welt. Einheimische Polizisten bewachten den Eingang. Die Gewehre in Reichweite neben sich, hockten sie am Boden und blickten uns mit finsteren Mienen entgegen. Dass sie in der Hitze ausharren mussten, machte sie nicht umgänglicher. Ich hielt mich hinter der Frau, die nur kurz gezögert hatte, bevor sie den Kopf hob und unbeirrt auf die beiden zuging. Sofort erhoben sich die Männer und klopften sich den Staub von den undefinierbaren Uniformjacken, die sie trotz der Hitze trugen. Das ließ mich aufatmen.
Die Frau blieb vor ihnen stehen und wies sie mit fordernder Höflichkeit an, das Tor für sie zu öffnen. Ich beobachtete sie und war wie schon oft zuvor erstaunt darüber, wie sie es fertigbrachte, die Männer anzuschauen und dabei doch zu ignorieren, als wären sie vertraute Hindernisse auf ihrem vorgezeichneten Weg. Die beiden waren verunsichert und antworteten nicht. Sie blickten einander an, dann musterten sie wieder die Frau, die bereits den Kopf reckte, um hinter dem Tor vielleicht jemanden zu entdecken, den sie zu sich rufen konnte.
Die Wächter mussten eine Entscheidung treffen, und ich wusste, welche Lösung sie für ihr Problem finden würden. Um nicht so hilflos dazustehen, wie sie waren, wies einer auf mich und erklärte, dass kein Einheimischer Zutritt zur Botschaft habe. Doch die Frau reagierte sofort, machte einen Schritt rückwärts und zog mich am Ärmel zu sich. Sie erklärte, dieser Mann müsse mit hinein, sprach von einer Übereinkunft mit dem Botschafter. Sie war weder empört noch wütend, kühl und bestimmt brachte sie ihr Anliegen vor und ließ am Ende eine Pause entstehen, die sie wirken ließ wie einen Schlag. Die Männer starrten sie an und begannen plötzlich zu lachen. Einer spuckte in den Sand, der andere ging zum Tor und öffnete es. Im Vorbeigehen hörte ich ihn murmeln:
»Komm heute Nacht zu mir, dann mache ich dich zu einer wirklichen Frau.«
Doch die Engländerin konnte ihn nicht verstehen.
Sie erwartete nichts von mir, außer meiner Dienstbarkeit, und so war ich der Frau schweigend dankbar dafür, dass sie mich nicht vor dem Tor zurückgelassen hatte. Im Garten der Botschaft blickte ich noch einmal zurück zu den beiden Wachen, die jetzt leise, doch mit heftigen Gesten sprachen. Eine gewisse Feindseligkeit hatte ich bereits erlebt, aber noch nie eine derartig unverhohlene Frechheit. Sie hatten gewusst, dass ich sie verstehen konnte, und es dennoch getan. Ich sah der Frau nach, die über den Rasen zum Botschaftsgebäude eilte, betrachtete die Granatapfelbäume, die Hibiskussträucher und die in der Mittagssonne dunkel leuchtenden Lupinen. Alles war wie immer, vor mir lag diese Oase der Ordnung und des Friedens, hier herrschte die schweigsame Sicherheit der Engländer und die Zeit schien zu dauern und nicht, wie draußen überall, zu vergehen.
Gerade bemerkte ich das MG -Nest auf dem Flachdach des Gebäudes, als sich wieder Motorenlärm erhob. Das Summen schwoll rasch an zu einem hässlichen Gebrumm, und in geringer Höhe rasten erst eine Messerschmitt, dann eine Spitfire über den Garten hinweg; diese Europäer flogen in den modernsten Maschinen, so schnell und
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