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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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Mauer, blickten nach unten, gaben Ephraim Zeichen und schütteten das Wasser auf sein Kommando aus. Das Geschrei unten ebenso wie der Jubel hier oben war unbeschreiblich. Gleich wurden wieder kleinere Töpfe ins Feuer gestellt.
    Ich versuchte zu erkennen, wen von den Männern ich kannte. Munjid war nicht dabei, aber Khaled, der Drucker, und Nuri. Die drei anderen hatte ich nie gesehen. Mit ihren Halstüchern, die sie als Mundschutz benutzten, erinnerten sie mich an Gangster. Einer entdeckte mich, schrie auf und griff nach einem der Töpfe im Feuer, ein zweiter hob ein Schlachtermesser und war sofort bei mir.
    »Halt!«, rief Ephraim. »Ich kenne ihn.«
    »Sind das deine Freunde aus Palästina?«, sagte ich und sprang von der Mauer.
    »Was willst du hier?«
    »Dich warnen. Die Soldaten werden gleich hier sein.«
    »Sollen sie doch kommen. Hast du sie hergebracht?«
    Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen.
    »All deine Bücher haben dich nicht klüger gemacht«, sagte ich. »Schau hinaus, die Stadt steht in Flammen. Oder glaubst du, das ist deine Revolution?«
    »Ja«, erwiderte er trotzig.
    »Niemand wird euch helfen, du Narr. Sie kommen euch einzeln holen.«
    Mit einem dumpfen Knall stieß das Ende einer Leiter gegen die Hauswand.
    »Gleich sind sie da«, sagte ich.
    Ephraim schaute sich ratlos um. Die Dächer der Nachbarhäuser waren leer, wahrscheinlich hatten sich die Bewohner aus dem Staub gemacht. Rauch stieg in weitem Umkreis aus den Gassen auf. Seine Männer benutzten Bootshaken und Besenstiele, um die Leiter von der Hauswand zu lösen und zurückzustoßen.
    »Was ist mit Ezra?«, fragte Ephraim.
    »Sie sind alle in Sicherheit. Geh du jetzt auch.« Ich wies mit dem Kopf auf die umliegenden Dächer, die durch einen Sprung zu erreichen waren.
    »Meine Familie«, sagte er.
    »Ist sie etwa noch hier?«
    Er wies zu Boden.
    Ich winkte Nuri und Khaled heran und zusammen stiegen wir in die enge kleine Wohnung hinab. Nahe der Kochnische, zwischen Gemüsekisten und ein paar Säcken voller Walnüsse hockten verängstigt und zusammengedrängt Ephraims Mutter und seine Schwestern. Der Vater stand, mit einem Gravurstichel bewaffnet, vor uns. Er war eigensinnig und zupfte an seinen zerzausten Barthaaren, bis er sich widerwillig überreden ließ, das Haus zu verlassen. Ich beschrieb ihm die Lage und schob ihn schließlich zur Stiege.
    Als alle auf dem Dach waren, eilte ich zur Mauer zurück. Die drei Fremden kämpften nur noch mit Worten gegen die Angreifer auf der Straße. Brüllend lehnten sie sich hinaus, ab und an zogen sie die Tücher von den Gesichtern und spuckten hinunter.
    Ephraim und Nuri blickten mir verwirrt nach.
    »Wo habt ihr die Gewehre?«, fragte ich ihn, bevor ich den Abstieg begann.
    »Sie liegen vergraben am Flussufer«, sagte Ephraim und ein müdes Lächeln huschte über seine Lippen, nicht auszumachen, ob schamvoll oder triumphierend.
    »Lebt wohl«, sagte ich zu allen und schwang mich über die Mauer.
    »Ephraim war nicht dort«, sagte ich zu Nidal, den das Warten verärgert hatte. »Ich habe alles durchsucht, sogar die Wohnung. Die Leute auf dem Dach sind Jungen aus der Nachbarschaft.«
    Fast erleichtert gab Nidal das Zeichen zum Abmarsch. Von den vielen Leuten unbemerkt entfernten wir uns rückwärts vom Torbogen. Als wir uns umwandten und zu den Autos gingen, wischte sich Nidal den Schweiß von Stirn und Nacken und sagte:
    »Es reicht für heute. Solange sie nur Wasser kochen, ist mir das egal.«
    Erst bei den verlassenen Kasernen, begriff ich die Aussichtslosigkeit der Lage. Es gab keine irakische Armee mehr, die heldenhafte Siege über die britischen Besatzer erringen konnte. Sämtliche Militärgebäude sahen aus, als wären auch sie geplündert worden. Nidal ließ den Fahrer und mich auf dem Exerzierplatz stehen, um sich aus einem der Vorratslager eine neue Flasche Whisky zu holen.
    In der Zwischenzeit machten sich auch die Soldaten davon. Einer nach dem anderen sprang vom Transporter und verschwand ohne ein Wort in der Kaserne, nur um ein paar Minuten später in Zivil wieder aufzutauchen und vom Gelände zu trotten. Ich war fasziniert von der Verwandlung dieser Männer. Nichts erinnerte mehr an ihre soldatische Existenz, selbst der Sergeant, der sie soeben noch instruiert hatte, war nun ein Niemand.
    Nidal kam zurück und brachte Fadil mit, der noch immer frisch und ausgeruht aussah, als wäre es ein Tag wie jeder andere.
    »Du wirst fliegen, mein Junge«, rief Nidal aus, »kannst du dir

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