Ein weißes Land
litt darunter.
Ich nahm Elsa das Tablett ab und hielt es zwischen uns, damit das Kerzenlicht einen Raum schaffen konnte, in dem wir, wenn auch nur kurz, allein waren.
»Wohnst du hier?«, fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel, was ich problemlos hätte aussprechen können.
Elsa lachte lautlos auf und schüttelte den Kopf. Sie weitete die Augen und sprach langsam zu mir:
»Niemand von uns wohnt hier. Es ist ein Hotel.«
»Was ist ein Hotel?«
Ich hoffte, den Idioten zu spielen, würde sie bei mir halten.
»Der Tee wird kalt«, hauchte sie, fuhr aber fort: »Ein Hotel ist ein Haus, in dem Leute arbeiten, damit andere es nicht tun müssen. Ich, zum Beispiel, arbeite gerade.«
Ich war glücklich über ihre Freude an meiner Dummheit. Sie nahm mir das Tablett wieder ab, drängte sich vorbei und klopfte vorsichtig an die Tür.
»Ich arbeite auch«, sagte ich, bevor sich die Tür öffnete und Elsa das Tablett hineinreichte.
Mein Herr ließ nachts außer seinen Vertrauten niemanden in das Zimmer. Er war sehr vorsichtig, obwohl er stets behauptete, nun endlich, nach langer, gefährlicher Reise, in Sicherheit zu sein. Dennoch, die Vorstellung, dass ihn die Zionisten in Bagdad hatten töten wollen, ließ ihm keine Ruhe. Es gab schließlich trotz allem auch hier noch immer Juden und wer konnte wissen, ob nicht gerade die besonders listigen unter ihnen übrig geblieben waren.
Als sich die Tür geschlossen hatte, wandte sich Elsa zu mir.
»Als was arbeiten Sie denn?«
»Ich beschütze ihn«, sagte ich.
»Woher kommen Sie?«
Sie rückte die Haube zurecht und blickte mich dabei unverwandt an.
Ich beschrieb es ihr, so gut ich konnte. Sie nickte beeindruckt.
»Das ist von weit her«, sagte sie. »Gute Nacht.«
Ich sah sie davongehen und bedauerte mich selbst. Nicht so sehr meiner Hilflosigkeit wegen, vielmehr machte mir zu schaffen, dass ich in diesem Land nie sicher sein würde, wie das, was ich tat und sagte, verstanden wurde. Ich wünschte mir, zu jemandem zu gehören und mir erschien dieses Gefühl allzu vertraut.
Wieder vor der Tür liegend, schloss ich die Augen und Erinnerungen an meine Reise wirbelten mir durch den Kopf. Nach ereignislosen Tagen des Wartens in den dunklen, mit starken Holzplatten gesicherten Räumen der italienischen Botschaft war plötzlich alles sehr schnell gegangen. Es war, als würden wir gepackt und aus unserem Land herausgeschleudert. Auf dem Flugfeld, inmitten der Sandschwaden und des Treibstoffgeruchs ergriff mich plötzlich die Furcht, die Beine wurden mir schwer und ich sackte zu Boden. Ein junger Bursche, der hier, wie er uns stolz mitteilte, zugleich als Waffenwart und Feuerwehrmann arbeitete, musste mich mit Fadils Hilfe zum Flugzeug schleifen. Ich zappelte und strampelte, stemmte mich dagegen, bis mir Fadil ins Gesicht schlug. Am Ende fügte ich mich, die Klappe wurde hinter mir geschlossen, die Sandschicht rutschte in Schuppen von den Fensterscheiben.
Ich krümmte mich in den harten Sitz und starrte hinaus auf den verwehten Platz. Andere Flugzeuge standen dort, sie trugen aufgemalte Flecken und Buchstaben. Doch unseres, ein Fieseler Strorch, wie Fadil mir sagte, war das Kleinste von allen, ein steifer, metallener Vogel, der mit der Luft, dem Himmel nichts zu tun haben wollte. Er hockte da, die Nase aufwärts gerichtet, und er war tot wie die Häuser, die Steine und die Tanklaster um uns. Dann aber begann er zu vibrieren, ruckte und schüttelte sich, längliche Vorrichtungen begannen sich zu bewegen und der Benzingeruch im Innern wurde unerträglich. Der Propeller zeichnete ein Rad in die Luft vor uns und ich war nur Furcht, mein Körper zusammengestaucht in dieser Enge. Ich fühlte mich dem Tode nah.
Mit uns flog ein Italiener. Er fühlte sich davon beleidigt, dass ausgerechnet wir ihn begleiteten. Ich konnte das verstehen, denn was hatte dieser Mann mit einem Straßenjungen wie mir zu tun. Welche lächerliche Bedeutung hatte uns die Existenz des Großmuftis gegeben. All das konnte nur ein Irrtum sein, eine Laune des Schicksals, begünstigt durch die Unruhe in der Stadt. Viel später erst erfuhr ich, dass man Fadil und mich für des Großmuftis finstere, aber sich harmlos gebende Leibwächter hielt und sehr besorgt darüber war, dass er das Land gezwungenermaßen ohne jeden persönlichen Schutz hatte verlassen müssen. Dennoch verhielt sich der Italiener sehr unfreundlich. Er würdigte uns keines Blickes, sprach uns nicht direkt an und drehte uns, wann immer er
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