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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
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dem fleckigen Kopf eines gewaltigen Schmiedehammers. Sicher war er ein Familienvater, der jetzt tumb in die größer werdende Grube blickte und wie jeder hier auf das Unvermeidliche wartete. Die schaufelnden Jungen schufteten, als würden sie dafür bezahlt. Der Schweiß tropfte von ihren Stirnen auf die Spatenstiele und in den Sand. Wir waren fast daran vorbei, da lehnte sich Nidal nach vorn und ließ den Fahrer anhalten.
    »Komm«, sagte er nur und stieg aus.
    Ich folgte widerwillig, hielt mich zwei Meter hinter ihm, als er sich seinen Weg vorbei an Händlern, Schuljungen und Tagelöhnern bahnte. Der Wind legte sich, das aufgewirbelte Papier segelte sanft zu Boden, es wurde still um uns. Die Leute starrten den Offizier an, der seine Pistole in der Hand hielt. Nur die Jungen in der Grube hatten nichts bemerkt. Die trockene Erde schien an ihnen aufwärts zu kriechen, legte sich bis unter die Augen auf ihre schweißnasse Haut. Die beiden Juden hoben die Köpfe, ihre glatten Gesichter waren blass und ausdruckslos. Nidal blickte angriffslustig in die Runde, doch niemand rührte sich. Erneut hallten Schreie durch die Straßen, verklangen alsbald wieder, und der heiße Wind schob die Papierfetzen raschelnd über den Sand. Das ist meine Stadt, dachte ich, doch was ist mit ihr geschehen? Die Hitze ließ die Gestalten um mich weich werden und wabern wie Spiegelungen auf dem nächtlichen Fluss, nach dem ich mich jetzt sehnte.
    »Du, Schmied«, sagte Nidal laut und wies auf den Mann mit dem Hammer, »komm her zu mir, komm.«
    Der Mann legte eine Hand auf die Brust und blickte sich fragend um. Nidal winkte ihn weiter zu sich. »Lass deinen Hammer dort und komm zu mir.«
    Der Schmied gehorchte, schwer fiel der Hammer zu Boden, die Jungen in der Grube hielten inne und blickten verwirrt herauf. Als der Mann vor ihm stand, drückte ihm Nidal den Lauf der Pistole ins Ohr.
    »Knie nieder«, zischte er und der Mann tat es sofort.
    »Herr, nicht«, jammerte er leise, »ich bin nur … «
    »Still«, fuhr ihn der Offizier an, »kein Wort! Anwar, nimm die Pistole.«
    Er riss mich zu sich und schloss meine Finger um die Waffe, deren Lauf noch immer im Ohr des Mannes steckte. Dessen Gesicht war zu einer Grimasse verzogen, und hilflos rieb er sich die dicken Hände.
    »Erschieß ihn«, sagte Nidal zu mir. »Heute findet hier ein Fest des Todes statt, man will Blut sehen. Er feiert mit. Und ich schenke ihn dir.«
    Niemand gab einen Laut von sich, und doch schien ein Bann gebrochen. Die beiden Talmudschüler erhoben sich, die Jungen in der Grube wischten sich den Sand aus den Gesichtern.
    »Los, tu etwas Gutes«, sagte Nidal, »hindere ihn an dem, was er vorhat.«
    Der Schmied wandte vorsichtig den Kopf, ich sah das Weiße in seinen aufgerissenen Augen und musste an die Worte meines Vaters denken: hasserfüllt und kriecherisch.
    »Ich kann nicht«, sagte ich.
    »Gut«, erwiderte Nidal, nahm die Pistole und verstaute sie sorgfältig im Halfter. »Dann sind wir hier fertig.« Er blickte sich um und rief: »Und ihr verschwindet!«
    Einer der Juden gab ein lautes Seufzen von sich, beide rannten davon, die Übrigen stoben auseinander, nur der Schmied und die Jungen in der Grube blieben, wo sie waren.
    Noch vom Wagen aus sah ich sie, bevor Nidal dem Fahrer auf die Schulter schlug.
    »Ja, wohin hätte Malik schon gehen können«, sagte Nidal versonnen, als wäre nichts geschehen. »Jede Mauer hat einmal ein Ende.« Er blickte mich von der Seite an. »Aber du, du könntest fortgehen. Weit fort.«
    »Wie?«
    »Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Um ihn auszuführen, musst du aber das Land verlassen.« Nidal sah prüfend aus dem Wagenfenster.
    »Wohin?«, fragte ich und die Aufregung nahm mir fast den Atem.
    »Nach Deutschland«, sagte Nidal leichthin. »Zum Schutz meines Sohnes schicke ich dich dorthin. Vielleicht wird unterwegs ein Mann aus ihm. Du wirst auf ihn aufpassen, wie du es für Malik getan hast. Und du wirst ihn mir zurückbringen, wenn das Chaos hier ein Ende hat. Was sagst du dazu?«
    Er hatte mich von Malik befreit, nur um mich sogleich an jemand anderen zu fesseln. Unmut mischte sich in meine Freude und Zweifel daran, ob ich ausgerechnet Fadil beschützen konnte.
    »Er hört nicht auf mich«, sagte ich leise.
    »Egal. Du warst zuverlässig beim Großmufti, obwohl du im Hintergrund geblieben bist. Ja, er hat das bemerkt. Genauso machst du es jetzt bei Fadil.«
    Plötzlich wurde mir klar, dass der Offizier Angst vor der Zukunft hatte.

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