Ein weites Feld
dessen Tochter bat mich, für sie zeugend vor den Altar zu treten. Wenngleich wir uns sagten: »Vorsicht vor Übereifer« und uns bekannt war, daß vormalige Kommunisten als frischgebackene Katholiken gerne ihr altgedientes Glaubenswerkzeug mit sich führen, willigte ich ein; diese Gefälligkeit war das Archiv den Wuttkes schuldig. Aber der Brautvater kümmerte sich zu wenig. Er hätte schon längst eine Gaststätte für das Hochzeitsessen bestimmen, den langen Tisch reservieren und das festliche Menü auswählen müssen. Das durfte die Braut von ihm erwarten. Nach der vor Jahren mißlich gelösten Verlobung mit einem Oberleutnant der Volksarmee hatte sie kaum noch zu hoffen gewagt, als Enddreißigerin einen Mann zu bekommen. Nun hatte es doch noch geklappt; nur mit dem Brautvater war nicht zu rechnen. Er hielt sich abseits und spitzte seine Bleistifte immer wieder neu an. Fonty bestand darauf, die ihm angeratenen Spaziergänge auf der rotchinesischen Teppichbrücke abzulaufen, und konnte, was die »Kinderjahre« betraf, kein Ende finden. Selbst unser Besuch, der eigentlich dem Genesenden gelten sollte, war ihm lästig. Wir mußten in der Küche oder im Poggenpuhlschen Salon warten und wie auf Abruf sitzen. Oft saßen wir eine geschlagene Stunde und länger. Weil er nicht kam oder uns rief, tröstete uns Emmi über die Zeit hinweg. Ohne daß wir viel fragten, sagte sie: »Auf den können wir lange noch warten. Der kann mal wieder nich aufhören mit seinem Gekritzel. Kaum is er bißchen gesund, übernimmt er sich gleich. Als wenn das nich Zeit hätt bis nacher Hochzeit. Aber wenn ich zu meinem Wuttke sag, schon dich, muß ja nich alles gleich und sofort aufs Papier, sagt er, laß man gut sein, Emilie, was raus will, muß raus. Also hab ich getippt und getippt. War ja all die Jahre so, wenn er hat liefern gemußt. Aber diesmal kritzelt er einfach ins Blaue nur, denn wer will sowas noch hören? Gibt es ja nich mehr, Kulturbund und so. Alles futsch und vorbei! Nur nich für meinen Wuttke. Für den ist nur wirklich, was er sich ausdenkt. Da kann links und rechts die Welt untergehn, der macht trotzdem weiter. Kaum isser aussein Bett raus, rennt er hin und her, brabbelt dabei, setzt sich, schreibt was. rennt wieder und schreibt und schreibt. Diesmal nich nur über sein Einundalles, nee, diesmal sogar über sich, weil ja beide aus diesem Nest kommen. Aber das wissen Sie ja besser, daß da der olle Mann sitzt, vor dem er als Knirps schon gestanden und geguckt hat, weil ihm sein Vater vor dem verflixten Denkmal immerzu eingebleut hat: ›Der da, der ist unsterblich, der bleibt bis in alle Ewigkeit.‹ So fing das an, daß er, wenn er von seinem Einundalles redet, sich immer irgendwie reinmogelt, als wenn er alles nachplappern muß. Steht bei dem was über Prügeleien mit Straßenbengels geschrieben, die sich in Swinemünde rumkloppen, will er sich in Neuruppin och mit paar Rowdys rumgekloppt haben. Der eine mit nein Holzschwert, das er auf Weihnacht bekommen hat, der andre mit ner bloßen Dachlatte. Und wie sich die Jungs versteckt haben, wo sie keiner hat finden gekonnt: der eine auffem Dachboden, der andre im Kohlenkeller hinter Packen von Papier, die alle Ausschuß waren oder Makulatur, wie mein Wuttke das nennt. Waren aber überall Bilder drauf, bloß bißchen verdruckt alle. Und immer wieder diese Väter! Ich kann Ihnen sagen: Hatte der eine Spielschulden, bekam der andre, seit er arbeitslos war, nich mehr die Flasche vom Hals. Weil aber der Vater von seinem Einundalles, der sich ja immerhin ein richtiges Denkmal zusammengeschrieben hat, eigentlich nur ein verbummelter Apotheker gewesen is, muß er ihn rausstreichen, und zwar als gütigen Papa, den seine böse Frau, die natürlich Emilie heißt, einfach vor die Tür gesetzt hat. Und genauso steht nun der Vater von meinem Wuttke ziemlich aufgeplustert da, nämlich als weiser Eremit, der sich von der schlimmen Welt in ein naßkaltes Kellerloch zurückgezogen hat. Da kann ich nur lachen drüber. Hab ihn ja oft genug besucht, bevor die Mauer kam. Der und seine Karnickel! Kann Ihnen sagen: Vornehme Villengegend war das mal. Aber der Kasten, in dem der Alte hauste, sah wirklich schlimm aus. Ein Spukschloß ist nix dagegen. Oben vom Krieg noch ausgebrannt alles, und unten konnt man die Schwindsucht kriegen. Lief die Wände runter, so feucht. War bestimmt Schwamm inne Dielen. Und die Betten klamm, selbst im Sommer. Roch richtig nach Schimmel und war nich sauber zu kriegen. Konnt
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