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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Kuppelbau, die Hedwigskirche. Was wollen Sie eigentlich, Fonty? Wir leben nun mal in ner Wendezeit …‹ Das hat der gesagt, als es Vater schon besser ging, weil er auf einmal schreiben, wie früher schreiben gekonnt hat. Nix mehr mit Nervenpleite. Genau, richtig gesund ist er davon geworden. Aber sich kümmern, sich richtig um meine Hochzeit kümmern, das will er noch immer nicht im Prinzip …«
    Wir haben miterlebt, wie Fonty sich verweigert hat. Selbst mein Angebot, ihm jegliche Lauferei zu ersparen und ganz nach seinem Wunsch einen Hochzeitstisch zu bestellen, schlug er aus: »Wenn überhaupt, dann ist das meine Sache.« Hinzu kam, daß dem Brautvater der Bräutigam nicht gefiel. Zwar lasse sich mit Grundmann halbwegs amüsant plaudern, aber erstens sei er zu alt und obendrein Witwer, zweitens komme dieser Herr Neunmalklug aus dem Westen: »Die ticken doch ganz anders als wir. Und selbst wenn seine Firma, von der ich jetzt schon und drittens behaupte, daß sie nach Pleite riecht, in Bulgarien Hotelbauten hochgezogen hat und ihm unsere Mete am Schwarzen Meer über den Weg gelaufen ist, hat er von uns keinen Schimmer. Für Grundmann und Konsorten bleiben wir Ostelbier, heidnische Protestanten, Ketzer im Grunde, was ja stimmt. Da hilft kein Konvertieren, so sehr das in Mode ist. Und ob bei unserer Mete diese Weihwasserkur anschlägt, wage ich zu bezweifeln.« Er wäre wohl so verbockt geblieben, hätte ihn sein Tagundnachtschatten nicht aus der Studierstube getrieben: »Nun machen Sie mal nen Punkt, Fonty! Oder soll etwa mein kleines Geschenk, sollen all die hübschen Bleistifte als destruktives Westprodukt beschlagnahmt werden? Na also! Hab übrigens gute Nachricht. Wie schnell sich doch die Lage ändert. Sie sind gefragt. Beste Aussicht besteht, daß Sie Ihre ›Kinderjahre‹ in der alten Schultheiß-Brauerei, die jetzt ›Kulturbrauerei‹ heißt, vortragen können, selbstverständlich vor Publikum. Sind ganz wild drauf, die jungen Leute.
    Wollen unbedingt was von früher, von noch früher zu hören kriegen. Haben die Nase gestrichen voll von dem, was grad läuft. Jedenfalls ist es mir gelungen, jetzt schon ne runde Summe lockerzumachen: Werkhonorar! Wird übrigens von drüben subventioniert der Laden, und ich hatte ein Wörtchen mitzureden, als es um die Bezuschussung ging. Na Fonty, was sagen wir jetzt? Nun sind Sie bei all der Schreiberei nicht nur gesund geworden, sondern dürfen sogar abkassieren. Das Ganze zahlt sich aus, wie beim großen Vorbild. Dem haben, wie wir wissen, die ›Kinderjahre‹ nen ersten wirklichen Verkaufserfolg gebracht. Das Büchlein ging wie warme Semmeln weg. Nicht nur in Swinemünde, wo die Leute immer auf Klatsch aus und neugierig waren. Jedenfalls sollten Sie besser als ich wissen, daß der Unsterbliche an den Erinnerungen fast so viel verdient hat wie an seiner berühmten Effi. Die ist ihm, kaum war er gesund, wie nix von der Hand gegangen. Waren aufregende Zeiten. Fing achtundachtzig mit dem Dreikaiserjahr an. Wurde danach immer toller: Kaum sind die Sozialistengesetze weg, kippt Bismarck.
    Unruhige Jahre. Wir pausenlos im Dienst. Trotzdem kamen ›Die Weber‹ zur Aufführung: Erst waren sie hier am Schiffbauerdamm, aber nur vereinsintern erlaubt, dann in Paris. Schließlich ganz groß im Deutschen Theater mit Liebknecht und weiteren Sozis im Publikum. Soziale Anklage! Schlesisches Elend! Hab noch im Ohr, wie die Rede von nein Fabrikanten, hieß Dreißiger, ausgelacht wurde. Und der Herr von Platz 23 schrieb im ›SalonFeuilleton‹ begeistert wie ein Jungrevolutionär. Lief als Renner das Stück, in Breslau, Lobe-Theater, und in Hannover, obgleich wir die Preise auf dem obersten Rang verdoppelt hatten, damit die Arbeiter nicht … Half nix. Hatten alle Hände voll zu tun. Na, weil die Ordnung wieder mal grundsätzlich … und die Sozis immer frecher … Selbst der junge Kaiser spielte verrückt. ›Führ Euch herrlichen Zeiten entgegen‹, wie heute, lauter Illusionen und massive Großsprecherei. Mantel der Geschichte! hat neulich der Kanzler von drüben gesagt. Dem schlägt eine historische Stunde nach der anderen. Wird sich noch wundern, der Herr. Von wegen neues Kapitel aufschlagen. Daß ich nicht lache! Bißchen Wendezeit, der übliche Hemdentausch, das ist alles. Kennen wir doch, diesen Kostümwechsel auf offener Bühne. So ist der Mensch! Immer Kleidersorgen! Deshalb sollten Sie Ihrer Tochter den Auftritt im neuesten Glaubensgewand nicht verübeln. Ob Sie sich dazumal

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