Ein weites Feld
Vaters Karnickelställen geplaudert …« eine Klage anzustimmen, die dem Archiv vertraut war: »Habe ja keine Kollegen, keine sechs, mit denen ich auf dem Sprechfuß stehe. Früher, mit Bobrowski und Fühmann ja, aber seitdem Keller und Storm tot sind welche Dürftigkeit. Was will man mit Müller groß reden? Außer, daß er seinen Whisky zelebriert und sich via Zigarre über seinen Meister Brecht mokiert, kommt da nicht viel, allenfalls ein paar niedliche Zynismen. Und die Wolf hält sich tapfer ihr Damenkränzchen; da ist man in Hosen und mit Krawatte grad noch geduldeter Gast. Habe ja nichts gegen schreibende Frauen und stelle die Bachmann neben Mörike, aber daß Hunderte solcher Blaustrümpfe wie Ludovica Hesekiel mit Sechser-Moral und DreierPatriotismus unsere Literatur besorgen, à Elle drei Mark, das ist ein Fluch …«
13 Vom Wechselkurs fester Glaubenswerte
Als Fonty das Zwischenkapitel beendet hatte und seinen doppelt gewebten »Kinderjahren« den Schlußfaden einfädeln wollte, war er vom Nervenfieber genesen. Doktor Zöberlein sprach von »starken Selbstheilkräften« und riet zu normalen Gewohnheiten: »Aber übertreiben wollen wir nicht. Kurze Spaziergänge, genehmigt, doch die Aktenschlepperei kann warten; das Haus der Ministerien befindet sich ohnehin in letaler Phase.« Besonders dem ersten Teil dieser Empfehlung stimmte Emmi zu: »Du mußt an die frische Luft, Wuttke …«, und gleichfalls war Hoftaller, als eigentlicher Arzt und Nothelfer, der Meinung, daß ein Bummel zum Kollwitzplatz und ein anschließender Café noir vorm Bistro in der Husemannstraße, wo man bei stabil sommerlichem Wetter gut draußen sitzen könne, an der Zeit sei: »Wolln uns auf ein Stündchen treffen, und zwar demnächst. Müssen unbedingt die Lage sondieren. Warum? Na, weil die sich ändert, täglich, und weil’s ne Menge Leute gibt, die sich für nen Vortrag nach Ihrer Mache drängeln würden.« Fonty zögerte. Ihm war nicht nach Öffentlichkeit. Er scheute die Welt außerhalb seiner Studierstube: »Bin gegen Gesellschaftliches. Man steht nur rum und fängt sich allenfalls eine Grippe ein.« Er müsse sich noch eine Weile bedenken. Bevor Spaziergänge wieder alltäglich und abermals Vorträge, freiweg vom Stehpult, verlockend sein dürften, wolle er die gewohnten fünfeinhalb Schritt auf dem Teppich bleiben und wenn schon mit lauter Rede unterwegs, dann über diese Distanz die »Kinderjahre« zu Ende bringen. Also lief er in seiner Filzkutte Zeile nach Zeile ab. In Swinemünde stand abermals Weihnachten bevor, so auch in Neuruppin. Und hier wie da hing der Haussegen schief. Das lag an den Vätern und deren Unruhe; oder lag es an den Müttern, die ständig aufs Solide pochten und den Familienfrieden brachen, indem sie ihn einklagten? Fonty stand unter Druck. Er schrieb so schnell, daß sein Bleistift kaum Muße für Unterlängen fand und seine Kritzelschrift selbst für Emmi unleserlich wurde. Sie riß die Tür von der Küche zur Studierstube auf und zeterte: »Mach nen Punkt, Wuttke! Du mußt dich endlich um Martha kümmern und die paar Sachen regeln, die du dem Grundmann versprochen hast. Bist du ihr schuldig als Brautvater. Also mach endlich, sonst sagt sie die Hochzeit ab …« Wir bestätigen den Anlaß für Emmis Sorge. Weil das Aufgebot schon seit Wochen aushing, war der Eheschließung ein Termin gesetzt. Aus Münster kamen dringliche Briefe, dann Telegramme. Alle Einladungen waren ausgesprochen, sogar die an Professor Freundlich und Frau. Mit Peinlichkeiten, die sich aus der kirchlichen Trauung hätten ergeben können, war nicht mehr zu rechnen, denn bereits im Vorjahr, genauer gesagt, Monate vorm Fall der Mauer, hatte Martha den Entschluß gefaßt, ihre Glaubensleere aufzufüllen und die Religion ihres zukünftigen Mannes anzunehmen. Das war Heinz-Martin Grundmanns Wunsch, doch nicht Bedingung gewesen. Deshalb war Martha wochenlang zur Hedwigskirche gelaufen, wo ihr ein Priester die Glaubenssätze der ihr neuen Lehre beigebracht hatte. Quelle dieser eher Kindern verordneten Exerzitien war der Katechismus gewesen; doch müssen alle, auch erwachsene Konvertiten, durch diese Waschanlage; niemand wird ungeprüft aufgenommen. Weil ein rechtgläubiger Trauzeuge fehlte und Grundmann an Marthas nachbarlicher Jugendfreundin Inge Scherwinski keinen Gefallen finden konnte, erinnerte sich einer von uns an seine katholische Herkunft, der er mehr aus Trotz denn aus Glaubensstärke nie abgeschworen hatte. Nicht etwa Fonty,
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