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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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häufigen Krankfeiern zuverlässige Lehrerin, war weder beliebt noch gefürchtet, hatte allerdings Probleme mit Kollegen und mehr noch mit Kolleginnen, die nicht rechtzeitig die Partei verlassen hatten: Gezänk im Lehrerzimmer. Eigentlich hätte sie, der bevorstehenden Hochzeit wegen, kündigen müssen; doch auch in dieser Frage erlebten wir Martha Wuttke unschlüssig, weil immer wieder von grundsätzlichen Zweifeln befallen. Darüber sprach sie mit uns vom Archiv, besonders mit mir, nachdem ich versprochen hatte, als Trauzeuge einzuspringen: »Im Prinzip wollt ich schon längst mit der Schule aufhören, weil ich nicht mehr dahintersteh. Und ob ich in Schwerin noch mal irgendwas anfang, da bin ich mir gar nicht sicher, auch wenn Grundmann meint, ich kann mich da unten betätigen. Er sagt, ich soll seine Bauherren betreuen, genau, die Investoren. Bloß, weil ich rechnen kann? Aber nur Hausfrau sein paßt mir noch weniger. In der Villa rumsitzen, die viel zu groß ist, und warten … Nee! Eigentlich ist mir überhaupt nicht nach Heiraten, vielleicht, weil ich so lang allein … Im Prinzip will ich schon und hab paarmal zu Vater gesagt: ›Diesmal wird’s ernst. Diesmal spring ich nicht ab wie damals bei Zwoldrak. Diesmal trau ich mich. Du mußt dich um die Hochzeit kümmern. Grundmann hat wieder geschrieben und drängelt, genau wie Mama. Er will, daß du einen Tisch für zwölf Personen bestellst, und zwar im Westen drüben, bei nein Italiener. Am Ku’damm neben der Schaubühne soll es einen geben, der gut ist, hat er extra aufgeschrieben für dich.‹ Genau! Warum nicht im Westen? Ich hab da nix gegen, aber Vater kümmert sich nicht. Dabei würd ihm Grundmann das abnehmen und selber nen Tisch bestellen, wenn es auf Pfingsten, als er kurz hier war, nicht geheißen hätt: ›Das Hochzeitsessen ist meine Sache!‹ Doch wenn ich das antipp, hört Vater weg. Sagt nur ja ja und ist in Gedanken schon wieder woanders. Natürlich frag ich mich manchmal, ob ich schuld bin, wenn er wie taub ist, weil ich nicht rechtzeitig Klartext mit ihm geredet hab, na, daß wir in der Hedwigskirche vorm Altar und daß ich keine Zweifel mehr, nur noch manchmal, und jedenfalls ne Perspektive brauch. Geht nicht ohne … Mach mir da nix vor … Weiß noch genau, wie ich bei der FDJ nicht nur gesungen, sondern geglaubt hab: ›Damit du in der Welt dich nicht irrst …‹ Aber das ist bestimmt nicht einfach für Vater, wenn seine einzige Tochter … Genau! Und daß katholisch geheiratet werden soll … Am liebsten wär ihm natürlich ne reformierte Hochzeit im Französischen Dom, auch wenn wir alle auffem Papier nur lutherisch sind oder noch weniger und Vater, als ich zusammen mit meiner Freundin Inge zur Jugendweihe gewollt hab, nix dagegen gehabt hat. Aber katholisch? Das will ihm nicht einleuchten, auch wenn er zu mir voriges Jahr im März, als noch das alte System war und ich raus bin aus der Partei, ›Na endlich!‹ gesagt hat. Falsch war bloß, daß ich ihm nix vom Katechismusunterricht und dem Priester von Sankt Hedwig gesagt hab oder zu spät erst. Jedenfalls hat er das krummgenommen und sowas wie Bäumchenwechseldich gemurmelt. Richtig beleidigt ist er gewesen. Und vielleicht hat Vater deshalb Knall auf Fall weggewollt, Richtung Schottland natürlich, kam aber nur bis Bahnhof Zoo. Doch im Prinzip muß er sich an den Gedanken gewöhnt haben, denn kurz bevor er abgedampft ist, hat er mir hier in der Küche ganz freundlich nen kleinen Vortrag gehalten, klar, mit paar Spitzen drin: ›Sei’s drum, Mete!‹ hat er gesagt. ›Ob Kommunismus oder Katholizismus, fängt beides mit K an und hält sich partout für unfehlbar …‹ Dann ist er mir mit dieser Schnulze ›Graf Petöfy‹ gekommen, weil da ja auch konvertiert wird. Aber gepaßt hat ihm mein Übertritt bestimmt nicht. ›Besser gar nix als alles glauben!‹ hat er gerufen und dann noch eins draufgesetzt: ›Nach welchem Wechselkurs tauscht man heutzutage die Überzeugung?‹ Erst als ich ihm lang und breit erklärt hab, daß ich schon bald nachem Eintritt in die Partei, genau, war Anfang der Achtziger – davor war ich drei Jahr lang nur Kandidat –, meinen Glauben zuerst an Lenin und später an Marxengels verloren hab, hat Vater kurz ›Meinen Segen hast du!‹ gesagt und dann noch gemurmelt: ›Jeder nach seiner Fasson …‹ Denn im Prinzip ist er die Toleranz in Person. Gekränkt hat mich nur, daß ausgerechnet dieser Stoppelkopp für mich geredet hat. ›Ist doch ein hübscher

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