Ein weites Feld
nervöses Zucken. Die Augäpfel von plastisch gewölbten Lidern gefaßt. Der Blick wissend und - obgleich wäßrig schwimmend - fest auf das jeweilige Gegenüber gerichtet; das mochten Personen oder Gegenstände sein. Ein Beobachter und Zuhörer, dem gesellschaftlicher Klatsch und märkische Spukgeschichten gleich wirklich waren, so sehr er handfesten Realitäten verhaftet schien. Herausfordernd und ein wenig herablassend blickt er uns an. Das Kinn eher ängstlich, weich und zurückgenommen. Und diese in der Unterpartie des Gesichts mangelhaft ausgebildete Willenskraft, die dem zeichnenden Liebermann nicht verborgen geblieben ist, könnte auf Fontys häufig bewiesene Schwäche deuten: Ob Tallhover oder Hoftaller gegenüber, unter Druck gab er nach. Verjährte Verstrickungen mit dem Zensurwesen während seiner Tätigkeit in der »Centralstelle für Presseangelegenheiten« sind dafür Beleg, ob in Berlin oder später in London; desgleichen Fontys Dienstwilligkeit im Haus der Ministerien. Weitere Phasen seiner nachgelebten Biographie, etwa die wiederholten Kriegsberichte aus dem abermals besetzten Frankreich und alle Vorträge, die er für den Kulturbund gehalten hat, waren dem jeweiligen Staatswesen dienstbar; sosehr wir heute bereit sind, ihm vieles nachzusehen und anderes als üble Anpassung zu verurteilen: Seine Versuche, das Literaturverständnis jener Jahre, die dem elften ZKPlenum folgten, mit Rückbezügen auf die preußische Zensur zu erweitern, wurden damals als halsbrecherisch mutig gewertet. Das brachte ihm Ärger ein. Und Ärger hat er sich allemal, in dieser und jener Gestalt, bereitet.
Hoftallers Aussehen beweist kein Photo. geschweige denn eine Portraitzeichnung. Und da uns Tallhovers Biograph nichts Zitierbares in die Hand gegeben, nicht einmal ein Phantombild geliefert hat, können wir nur hoffen., daß mit Fontys Gesamterscheinung auch dessen Tagundnachtschatten ins Bild kommt, zumindest andeutungsweise. Sobald Fonty das Archiv besuchte, wurde uns eine gereimte Schilderung lebendig, die Paul Heyse anläßlich der Lesungen im Literatentreff Tunnel über der Spree gedichtet hatte: »Da ging die Tür, und in die Halle mit schwebendem Gang wie ein junger Gott trat ein Verspäteter frei und flott, grüßt in die Runde mit Feuerblick, warf in den Nacken das Haupt zurück …« Zu solchem Auftritt und Gang war der Unsterbliche bis ins hohe Alter fähig. Wir sahen bereits, daß an Hoftallers Seite, der wie in allzeit unsicherem Gelände tastende Schritte nach Altmännerart machte, Fontys beschwingtes Schreiten besonders auffiel: ein Jüngling in bejahrter Hülle. So sahen wir Theo Wuttke. Und Julius Rodenberg, der den Endsiebziger »im Tiergarten, in der Abenddämmerung, mit dem historischen dicken Tuch um den Hals« gesehen hatte, notierte an anderer Stelle: »Er macht noch ganz, trotz des greisen Schnurrbartes, den jünglingshaften Eindruck, unter dem er fortleben wird …« Hier ist Unsterblichkeit direkt angesprochen; und Fonty hat das Fortleben wie ein Programm durchexerziert. Deshalb nahmen wir ihn nicht nur beim geplauderten und über Seiten und Verskolonnen hinweg zitatseligen Wort. sondern ließen uns überdies von seinem Anblick zu dem Glauben hinreißen: Er täuscht nicht vor. Er steht dafür. Er lebt fort.
Unsere Zweifel wurden an seiner Erscheinung nichtig; und auch alle anderen, die ihm begegneten., sahen sich dem Urheber gegenüber, selbst wenn sie versuchten, mit üblicher Anrede – »Na, Fonty, wieder mal unterwegs?« – in ironische Distanz zu flüchten. Deshalb diente er in den siebziger Jahren, als politischer Protest einige Künstler zu vieldeutigen Parabeln provozierte, dem Maler Heisig oder einem der vielen Heisig-Schüler als Modell für ein Wandbild, das in der expressiv abgewandelten Manier des sozialistischen Realismus eine Gruppe bedeutender Schriftsteller versammelte. So fand sich das Modell Fonty stellvertretend zwischen Georg Herwegh und dem jungen Gerhart Hauptmann plaziert. Miteinander einig die Brüder Mann, unverkennbar Brecht und die gestrenge Seghers, natürlich Johannes R. Becher; auch waren einige nur damals gegenwärtige Literaten dem Gruppenbild einverleibt. Den Auftrag für die heftige und in allen Farben schwelgende Malerei soll der Kulturbund erteilt haben. Eines seiner Häuser, vielleicht der Neubau in Bitterfeld, verlangte nach Bildschmuck. Leider ist dieses Werk, wie so viele andere, am Einspruch der führenden Genossen gescheitert. Selbstkritik mußte
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