Ein weites Feld
des Briefschreibers und Theaterkritikers um den jungen Dramatiker Hauptmann aufzählt: Niemand habe wie er den neuen Ton gehört, aber auch die Gefahr des Abgleitens ins weihevoll Mystische oder in die Langweiligkeit klappriger Ritterstücke wie »Florian Geyer« erkannt.
Wenn Fonty also das Hauptmanngrab besuchte, den Findling »zwar kolossal, aber doch angemessen« nannte, sich am Efeu über dem Grabhügel erfreute, einige vertrocknete Kränze bemängelte, linker Hand Feuerdorn und kurze Eiben, rechter Hand einen Weißdorn registrierte und die in den Stein gehauene Keilschrift, die nur den Namen nennt, die Lebensdaten jedoch wie überflüssiges Beiwerk ausspart, als »stolzen Anspruch auf Unsterblichkeit« lobte, ist anzunehmen, daß er -ganz im Sinne Reuters – gerne einen Kranz getrockneter Immortellen zur Hand gehabt hätte; doch war dieser Grabschmuck schon lange nicht mehr im Handel, weil angesichts des Weltzustandes viele Pflanzen, so die Immortellen, bedroht sind und überdies der Begriff Unsterblichkeit fragwürdig geworden ist. Emmi und er folgten den Grabreihen des sanft gewellten Friedhofs, der dem allmählich beginnenden Hügelland zu Füßen liegt. Vorbei an Eibenhecken. Nur wenige, vom Wind geduckte Bäume. Einheimische neben Zugereisten. Emmi hat ihn auf die vielen Gottschalk, Gau, Schluck, Witt, Schlieker und Striesow aufmerksam gemacht. Er wies auf eine schmale, spitz zulaufende Stele und wußte, daß jene zuoberst angeführte Sabine Hirschberg, deren Lebensdaten ihr nur die knappe Spanne von 1921 bis 1943 ließen, zum Widerstandskreis der »Weißen Rose« gehört hatte und sich das Leben nahm, als Verhaftung drohte. Hand in Hand, so sehen wir die Wuttkes vor wechselnden Grabstellen. Beide gingen gerne auf Friedhöfe. Hier fielen ihm, von Stein zu Stein, besonders viele Anekdoten ein, sei es zum alten Inselpfarrer Gustavs, sei es zu Solting, der so gerufen wurde, weil seine zwei Kühe auf Salzwiesen weideten. Als Emmi das Familiengrab der Felstensteins nahe der Kirche bewunderte, wirkte auf ihn der »enorme Aufwand«, besonders aber die gußeiserne Schmuckumrandung wie eine Bühnendekoration zu einem eher mittelmäßigen Theaterstück. Fonty rief: »Respekt vor dem großen Regisseur! Doch zuletzt hat er sich kolossal daneben inszeniert.« Dann blickte er sich um, wie auf Suche nach einer aufgelassenen Grabstelle.
17 Inselgäste
Der Wanderer, wie er im Buche steht. Wir sehen Fonty von Kloster aus über den Plattenweg unterwegs nach Vitte, vorbei an Heckenrosen und reifendem Sanddorn, nun unter den wenigen windschiefen Strandkiefern, die zur Seeseite stehen. Wie viele der von städtischer Unruhe getriebenen Inselgäste, sind auch wir einigermaßen ortskundig und bis in die Heide hinein bewandert, aber er kennt jedes Gewächs und erinnert sich, noch vom letzten Besuch her, an den Weißdorn, die Weiden, den damals üppigen, heute eher kümmerlichen und kaum Fruchtdolden tragenden Holunder. Er wandert mit Stock unterm bulgarischen Sommerhut und trägt zur hellen Hose ein strohgelbes Leinenjackett, beides ein wenig knittrig. Seine Schnürschuhe, in denen er sonst und das ganze Jahr über durch den Volkspark Friedrichshain oder neuerdings durch den Tiergarten läuft, sind ohnehin Wanderschuhe. Wir wissen, daß er ein zweites und drittes Paar in Reserve hält; noch kürzlich hat er auf einem der rasch den Standort wechselnden Polenmärkte »für ein Spottgeld« ein Paar robuste Schnürstiefel aus sowjetischen Armeebeständen gekauft. »Wer gut zu Fuß sein will, darf nicht auf der Brandsohle laufen«, heißt eine seiner Devisen, die wir anfangs aus Laune nur, dann aber mit Kalkül gesammelt haben. Er kommt gut voran. Rechter Hand fällt ein Anwesen mit außen geführter Wendeltreppe auf, das der Architekt Adolf Loos entworfen haben soll. Das Dorf Vitte beginnt mit teils ziegel-, teils schofgedeckten Häusern. Hier und dort immer noch namhafte oder inzwischen vergessene Besitzer. Linker Hand das Haus, in dem einst der Stummfilmstar Asta Nielsen wohnte. Wie vormals Ringelnatz, war später der Sänger Ernst Busch Feriengast. Einstein sonnte sich hier, sogar Freud. Als sich Thomas Mann mit Familie ansiedeln wollte, fand er die Insel zu klein für zwei Große. Überall Namen, an denen Inselgeschichten ranken. Am Norderende von Vitte erkennt Fonty ein eingeschossig gestrecktes und wohnlich einladendes Haus wieder, in dem bald nach Kriegsende Szenen des mittlerweile klassischen DEFA-Films »Ehe im Schatten«
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