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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Straße kannte diese Parolen, deren Schärfe seine Emilie, die immer besorgt war, er könne übers Ziel hinausschießen, gleichfalls mit Schrecken hörte. Solche »Forsche« brachte Ärger, wie kürzlich das Gezeter anläßlich seiner späten Ballade »Die Balinesenfrauen auf Lombok«; deren dem Massaker folgende Schlußzeilen »Mynheer derweilen, in seinem Kontor, malt sich christlich Kulturelles vor« hatten anstößig gewirkt. Gleichfalls war die Doppelzeile »Allerlei Leute mit Mausergewehren sollen die Balinesen bekehren« in den Niederlanden empfindlich aufgenommen worden. Man hatte ihn »einen Meister der Grobschmiedekunst« genannt. Tüftelnde Schlaumeier waren dahintergekommen, daß die niederländischen Kolonialtruppen nicht mit Mausergewehren, vielmehr mit solchen der Firma Mannlicher ausgerüstet und auf Missionsreise gewesen seien. Das alles erzählte er Liebermann, während er doch eigentlich beim Modellsitzen ein würdiges Greisengesicht hätte zeigen müssen. »So sind die Kolonialherren. In England übrigens nicht weniger. Sagen Christus und meinen Kattun! Oder wie’s in meinem JohnBull-Poem heißt: ›Und auf hundert Hosenpaare kommen fünfzig Missionare …‹« Gestauten Ärger breitete er aus, denn wenige Tage vor dem Modellsitzen hatte sich sogar das Auswärtige Amt bekümmert gezeigt, weil seine Ballade, durch Abdruck und Kommentierung im »Börsenkurier«, als wellenschlagende Geschichte einen Zeitungskrieg entfesselt hatte. »Nur noch Diplomatengezänk. Über das Poetische steht natürlich kein Wort!« Liebermann zeichnete Blatt nach Blatt, war aber nicht stumm dabei. Jetzt ging es um Bismarck, von dem der Maler gehört hatte, daß er seit seiner Entlassung die Tage nur noch mit Schimpfen verbringe. Sobald Besuch komme, ziehe der Alte im Sachsenwald ein neues Register seiner Invektivorgel. »Und immer geht’s gegen den Kaiser und dessen neueste Reden, Dummheiten, Telegramme.« Das Modell stimmte zu, wollte aber nicht nur Wilhelm zwo verspottet hören, sondern war für Ausgleich und nannte den Eisernen Kanzler einen »schrecklichen Heulhuber, wenngleich einen genialen«. Liebermanns alter Diener, der während der scharfzüngigen Wechselreden im Atelier herumkramte, sagte, weil er Steigerungen befürchtete: »Ick will lieber en bisken rausjehn, daß ick nich alles hör.« Und Liebermann, der gerade eine weitere Skizze begann, sagte: ›Ja, geh nur: Ich hab mich noch lange nicht ausgekollert.«
    Als Fonty während der Nachfeier seines siebzigsten Geburtstages, im Kreis seiner Freunde vom Prenzlauer Berg, von diesen Sitzungen erzählte oder auf Befragen uns im Archiv Bericht gab, hörten sich seine Erinnerungen merkwürdig distanziert an, so nah er seinen Zuhörern die Atelierstimmung brachte, mit Oberlicht, Pinseltöpfen, Palmwedeln und überall herumliegenden Pferdestudien: »Neueste Malerei, ein wilder Norweger namens Munch wurde abgehandelt. Doch meistens ging es um Politisches. Na, um den Schwefelgelben. Übrigens: das Richtigste über Bismarck hat ein Pole namens Henryk Sienkiewicz geschrieben; der Rest ist Blech, selbst wenn es druckfrisch im ›Spiegel‹ steht. Oder um Stöcker ging’s, den Judenfresser: des Hofpredigers jüngste Schandmaulerei. Oder um Bebels letzte Rede im Reichstag. War ja auch toll, wenn der Drechslermeister vom Leder zog und gegen die Kolonialherrschaft austeilte, bis daß die Fetzen flogen. Doch sobald ich Worte wiederbelebe – ›Alles Interesse ruht beim vierten Stand! Der Bourgeois ist furchtbar, und Adel und Klerus sind altbacken. Die neue bessere Welt fängt bei den einfachen Leuten an. Denn sie, die Arbeiter, packen alles neu an, haben nicht bloß neue Ziele, sondern auch neue Wege …‹ – und mein Prophetenlatein aus den mittleren neunziger Jahren – paar Jährchen, bevor mir die Lampe ausging – mit dem nun bevorstehenden Ende des Arbeiter- und Bauern-Staates, der vierzig Jahre lang ›der erste auf deutschem Boden‹ genannt wurde, in strengen Vergleich bringe, macht das zwar Adel und Klerus von dazumal nicht besser, was aber den Arbeiter angeht: Da ist die Luft raus! Liebermann war damals schon skeptisch und ich im Grunde auch. Das gilt gleichfalls für heute, meine jungen Freunde. Skeptisch bleiben ist besser als zynisch werden. Kommt sowieso alles ins Rutschen, in Rußland und anderswo. Kaum ahnen wir, was alles. Es ist wie im ›Stechlin‹, den ich ab Winter fünfundneunzig in der Mache hatte; dort sagt mein Dubslav: ›Nichts ist unmöglich.

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