Ein weites Feld
Wer hätte vor dem 18. März den 18. März für möglich gehalten, für möglich in diesem echten und rechten Philisternest Berlin!‹ Oder wäre etwa hier der 4. November vorstellbar gewesen, an dem ich nach all den blitzgescheiten, plötzlich mutigen und nun freiheitsbesoffenen Rednern aufs Podest gerufen wurde, von wo ich dann meine notwendigerweise skeptisch eingetrübte Rede gehalten habe: ›Ist alles Trug und Blendwerk!‹ Denn daß Parolen wie ›Wir sind das Volk!‹ wetterwendisch sind, war mir sicher. Man mußte nur ein einziges Wörtchen austauschen, und schon war die Demokratie weg und die Einheit da. So schnell ging der jüngsten Revolution das Pulver aus …« Wenn Fonty, der uns oft versichert hat: »Reden müssen hat für mich immer etwas hervorragend Schreckliches gehabt; deshalb meine Aversion gegen den Parlamentarismus«, derart, weil aufgefordert, ins Reden geriet, stieg ihm Röte ins Gesicht, besonders heftig um die Backenknochen. Solche Auftritte haben seinen Augen Glanzlichter gesetzt. Wie vom Wind bewegt das greise Fusselhaar. Die Nase kühn im Profil. Der Blick über alles weg. Und so ist er jenem Teil der Fünfhunderttausend in Erinnerung geblieben, der auf dem Alexanderplatz nahe dem Podest stand. In ganzer Figur und in freier Rede. »In Deutschland hat die Einheit immer die Demokratie versaut!« rief er ins Mikrophon und bekam Beifall. Und so, als Redner, hätte man ihn zeichnen müssen, leicht koloriert.
Sobald wir das Portrait des Menzel-Schülers Fritz Werner mit Liebermanns Blättern vergleichen, fällt auf, daß Werner der plustrige Orden am Jackett wichtiger war als der Kopf des Modells, der uns fremd, weil kommerzienrätlich vorkommt. Fonty, dem seine Auszeichnungen als verdienstvoller Kulturaktivist so schnuppe waren wie dem Unsterblichen seine drittklassigen Orden, wies wiederholt auf die Sitzungen in Liebermanns Atelier hin und zitierte den Maler bei jeder sich bietenden Gelegenheit, besonders gerne, wenn er den Wortschwall seiner jünger vom Prenzlberg oder unsere archivalischen Bedenken zu kürzen versuchte. »Auf meine die Kunst betreffende Frage sagte der Meister: ›Zeichnen ist Weglassen!‹ Ich darauf: ›Aber man muß auch genug Stoff unterm Daumen haben, um weglassen zu können.‹« Was immer er sagte, war mehr als bloßes Zitat. Sein bei lockerer Wortwahl zwingender Ausdruck bannte den Zuhörer. Das konzentrierte Dreieck aus Nase und Augen, der anziehende und zugleich Distanz fordernde Blick, mit dem Fonty uns musterte, sobald wir ihm zu nahe traten, ließ nicht los. Deshalb wird die Frage »Wie sah er aus?« am treffendsten von Max Liebermanns alles Beiwerk weglassenden Kreidezeichnungen beantwortet. »Die müßte man als Steckbrief anpinnen!« spottete Hoftaller, der am späten Abend des Tages nach den Geburtstagsfeiern bei McDonald’s und im Mitropa als Tallhover nicht nur mit dem Maler abrechnete: »Liebermann, immerzu Liebermann! Was heißt das schon: bedeutender Impressionist? Reden wir deutsch: der Jude Liebermann! Na schön, hat Sie gezeichnet und lithographiert. besser als andere, zugegeben. Bleibt aber trotzdem Jude, auch wenn er noch so hübsche Illustrationen zu ›Effi Briest‹ gestrichelt hat. Überhaupt. die vielen Juden an Ihrer Seite, um Sie herum. Ihr Stoff spendender Brieffreund, der Jude Friedlaender! Jahrzehntelang war Ihr wichtigster Verleger ein Jude: der Jude Wilhelm Hertz! Und die erste Sammlung Ihrer lyrischen Ergüsse hat, weil Cotta nicht wollte, natürlich ein Herr Katz auf den Buchmarkt gebracht. Dazu der Jude Schottländer, der ›L’Adultera‹ verlegte, einen Roman, in dem die ehebrecherische Hauptperson, das pleite gegangene Finanzgenie Rubehn, natürlich Jude ist. Und Rodenberg, der aus dem hessischen Rodenberg stammte und eigentlich Julius Levy hieß, hat als Jude die ›Deutsche Rundschau‹ herausgegeben und drei Ihrer Schmöker, zuletzt ›Effi Briest‹, vorabgedruckt. Zu Tisch bei Juden, in Karlsbad von Juden umringt, bei der Vossischen von Juden gelobt, lauter Juden. Wo man kratzt, kommen Juden raus. Selbst als Ihr Sohn Friedrich nen Verlag gründete und des Vaters Bücher nicht gerade besonders erfolgreich verlegte, hieß der stille Teilhaber Fritz Theodor Cohn. Ein Jude wie jener Cohn, den Sie zum Schluß Ihrer leichtfertigen Geburtstagsreimerei zum Fünfundsiebzigsten hochleben lassen: ›Kommen Sie, Cohn!‹ Außerdem hat bei der Gründung des Familienverlags ein weiterer Jude, den Sie bei Laune ›den dicken Lewy‹
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