Ein weites Feld
geübt, die ideologische Plattform beschworen, die Wandmalerei übertüncht, der Entwurf an eine staatliche Sammelstelle ausgeliefert werden, weil Heisig oder einer seiner Schüler die Versammlung literarischer Größen mit Vertretern aus dem, wie es hieß, »Lager der Kriegstreiber und Imperialisten« aufgefüllt hatte. Man stelle sich vor: Das Portrait Franz Kafkas soll eine kopfgroße Lücke gefüllt haben; in einer bärtigen, über der Versammlung als Traumbild schwebenden Erscheinung will jemand die Kultfigur bürgerlicher Dekadenz, Sigmund Freud, erkannt haben; dem stellvertretend abgebildeten Fonty, der allzeit schreibbereit einen Gänsekiel hielt, blickte, nach Aussage einiger Zeitgenossen, der zu früh gestorbene Uwe Johnson mutmaßend über die Schulter; die noch kürzlich vom Parteikollektiv gerügte Wolf stand der Seghers nachgeordnet; Heine zu Füßen, von dem es hieß, er habe ein Bändchen Biermann-Lieder in Händen gehalten, schlug ein Dreikäsehoch auf eine Blechtrommel; und überdies soll in dem Wandbild jemand versteckt und doch, wie in einem Vexierbild, auffindbar gewesen sein: hier laufend, dort zusammengekauert und dort versteinert, als Phantom. Behauptet wurde: Den vervielfachten Hoftaller habe man an seinem Dauerlächeln, dem beständigen Ausdruck bedrohlicher Allwissenheit und an seiner auffälligen Unauffälligkeit erkennen können. Ein eher gerundetes als langes Gesicht, das ihm nachgesagt wurde, ist zu bestätigen, gleichfalls das Lächeln. Dicht hinter Herwegh gerückt, soll er durch ein nur mit Mühe lesbares Namensschild am Revers als Tallhover enttarnt worden sein. An anderer Stelle der Malerei will man gesehen haben, wie er ein Zeitungsblatt des Zentralorgans als vielteiliges Puzzle zusammensetzte, dessen bereits fertigem Teil das Adjektiv »schädlich« abzulesen gewesen sei. Da die Tallhover-Biographie erst seit Mitte der achtziger Jahre im Westen als Buch vorlag, ist anzunehmen, daß dem Maler eine Portion Spezialwissen vermittelt worden war. Schade, daß der enge Geist jener weit zurückliegenden Jahre die komplexe Dichte dieses Wandbildes nicht hat dulden wollen. Was Fonty betrifft, bleibt zu sagen: Er trug als Modell und fortlebendes Abbild jenen Shawl, den Rodenberg als »historisch« empfunden hat und den der Literaturhistoriker Servaes im Todesjahr des Unsterblichen wie eine Reliquie beschreibt: »… ganz nahe am Potsdamer Platz. Da stand er vor dem Palast-Hotel, den blaugrünen schottischen Shawl locker um die Schulter …« Hiermit ist letztlich begründet, warum Fonty sommers wie winters ein solch langwüchsiges Abzeichen keltischen Clanwesens trug; zum Beispiel, als er mit Hoftaller bei McDonald’s seinen siebzigsten Geburtstag feierte und anschließend zu einer Nachfeier gezwungen wurde, die in der Mitropa-Gaststätte am Bahnhof Friedrichstraße stattfand und eher trist endete. Der Shawl gehörte zum Fortleben des Originals. Doch Max Liebermann hat den mittlerweile sechsundsiebzigjährigen Greis ohne Schottenmuster am Hals, mit hochgeschlossener Binde gezeichnet. Die Sitzungen fanden entweder am Pariser Platz, im Atelier des Meisters, oder auf Wunsch in der Potsdamer Straße 134 c statt.
Zwar steht in dem Brief vom 29. März 96: »Es ist hundekalt und ich erkälte mich so leicht. Wage deshalb die Bitte auszusprechen, daß wir die letzte Sitzung wieder bei uns haben …«, doch die Ateliersitzungen überwogen.
Er ging da gerne hin. Nicht nur weil Liebermann, wie er seiner der Nerven wegen kurenden Tochter in einem alles verplaudernden Brief geschrieben hatte, »… ein richtiger Maler ist, dem ich in die Hände falle …«, sondern mehr noch, weil ihm des Malers nie um Pointen verlegener Witz, der weder Kaiser noch Kanzler und schon gar nicht die hofmalende Zunft schonte, das anstrengende Stillsitzen verkürzte. Wenngleich er Menzel höher schätzte, war Liebermann ganz nach seinem Geschmack. Der nahm kein Blatt vor den Mund. Dessen Methode, die neureichen Spießer und verschuldeten Leutnants, die ledernen Prinzipienreiter und nicht nur am Sedanstag dröhnenden Geheimräte durch das feinmaschige Sieb seiner Ironie zu jagen, glich selbst im Nachhall noch Fontys Methode, dem preußischen Adel hohnzulachen, auch wenn bei seinen Tiraden gekränkte, zurückgewiesene oder verkannte Liebe den Ton angab.
»Das Zeitalter des Schönrednerischen ist vorüber. Jetzt gilt nur noch: Freiweg!« rief er bei Tisch den erschrockenen Söhnen zu. Die Mansardenwohnung in der Potsdamer
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