Ein weites Feld
sich hinzog, sie blieben heiter und planten neue Ausflüge.
Diesmal waren sie auf nur kurze Distanz unterwegs. Bei Nieselregen ging es nach Potsdam, aber nicht nach Potsdam hinein. Weder Schloß noch Archiv war ihr Ziel, beides kannte man zur Genüge. Nein, nichts der Unsterblichkeit Dienliches oder gar Friderizianisches stand auf dem Programm; kurz vor Preußens berühmtester Garnisonstadt machten sie Halt. Wir sind nicht sicher, wer vorgeschlagen hat, den bedeutsamen Schnittpunkt der vormaligen Grenze, die Glienicker Brücke, zu besuchen. Wahrscheinlich ist es Fonty gewesen, der Hoftaller gefällig sein wollte, wußte er doch, daß seinem Tagundnachtschatten dieses Ausflugsziel nicht wegen der Baugeschichte – zuerst aus Holz, dann aus Backstein, schließlich als Eisenkonstruktion – von Interesse war, sondern aus Gründen sentimentaler Art. Der Ort des Austauschs von Topagenten zog ihn an. Mit Bewunderung, aber auch Neid sah Hoftaller die Glienicker Brücke, auf der noch kurz vorm Mauerfall hochkarätige Spione, langjährig tätige Perspektivagenten und manchmal sogar namhafte Größen des geheimdienstlichen Spezialwissens von Ost nach West, von West nach Ost verschoben worden waren. Kurz vor der Brücke über die Verengung der beiden Havelseen parkte er den Trabi auf sozusagen noch westlichem Gelände, seitlich der Zufahrt zum Glienicker Schloß. Was Fonty nur andeutete, hat Hoftaller uns später bei einem Archivbesuch bestätigt: Ihn habe die Brücke bis zur Drittklassigkeit abgewertet. Für seinesgleichen sei diese Agentenschleuse nur im Traum zugänglich gewesen. »Glienicke!« rief er. »Das gab’s nur für die Elite. Nur Spitzenleute wurden dort ausgetauscht. Unsereins, der sogenannte Mittelbau, kam nicht vor. Wir waren für die Drecksarbeit gut: Außendienst, Objektobservierung, Informantenpflege, Routineberichte, Schreibkram, ab und zu ne Dienstreise. Will nicht klagen. Mußte ja auch geleistet werden. Aber die Brücke blieb Wunschvorstellung, Traumziel, ne letzte Erfüllung. Sowas faszinierte. Das war doch was. Viel Theater, na gut. Aber heimlich sehnte sich jeder von uns danach: Einmal werde auch ich …‹, Wenn es nun heißt: Hoftaller schwärmte uns gegenüber von der Glienicker Brücke, übertreiben wir nicht. Und verständlich ist, daß Fonty seinem leidenden Tagundnachtschatten gefällig werden wollte. Deshalb wird er es gewesen sein, der das prominente Ausflugsziel vorschlug. Diesmal kam er vorplanend zum Zug und forderte, kaum hatten sie den Trabi verlassen, Hoftaller auf, mit ihm auf der Brücke Agententausch zu spielen.
»Müssen das mal leibhaftig durchmachen.«
»Kommt nicht in Frage. Bin ungeeignet dafür.« »Nur keine Minderwertigkeitsduselei! Sie sind doch
wer! Ein Tallhover hat schließlich Herwegh observiert. Lenins Sonderzug war Ihr Fall, später sogar Lenins Gehirn …«
»Trotzdem, bin dafür wirklich ein paar Nummern zu klein …«
»Ach. was! Wer war ich schon siebzig-einundsiebzig! Und wurde dennoch von der Insel Oléon runtergeholt und gegen Topleute, wie Sie sagen, ausgetauscht: drei hochrangige französische Offiziere, während ich nur ein kleiner Skribifax …«
»… den man für nen Topagenten gehalten hat. Beinahe hätte man Sie wegen Spionage füsiliert. Nein, ich tauge für solche Vergleiche nicht. Da muß man schon hugenottischer Herkunft sein und zum Beispiel Guillaume heißen …«
»Seien Sie kein Spielverderber, Tallhover. Nicht umsonst haben Sie so frühzeitig einen Biographen gefunden. Wenn jemand Perspektive bewiesen hat, dann Sie.
Nicht ohne Grund sind Sie zum Sinnbild mir zugeordneter Unsterblichkeit gereift.
Also, Kopf hoch! Heute sind Sie dran.«
»Und wie soll ich mich dabei anstellen, Genosse Kommissar?«
Fonty bestimmte die Regeln. Hoftaller nickte: Kapiert. Und so spielten sie auf der Brücke, dem Schnittpunkt tatsächlicher und ausgedachter Spionagegeschichten und Agententhriller, die gefilmt, dokumentiert und immer wieder in Romanen verpackt worden waren. Szenen im Morgengrauen, bei Frühnebel sind erinnerlich. Kaltes Licht aus Bogenlampen. Spannung und Kitzel bei Sprühregen und gebotener Kameradistanz. Die schrittweise Annäherung zweier Männer mit Hut und hochgeschlagenem Mantelkragen, von denen nur einer aus der Kälte kam, obgleich auch der andere fror. Agententausch zwischen Ost und West. Im Film wie in Wirklichkeit. Und die Welt schaute zu.
Bei passendem Wetter spielten sie unter den schöngeschwungenen Brückenbögen das altbekannte
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